Kultur mit Kind

„Meine spanische Familie ist eine reine Fernsehfamilie“

Wie das so ist, wenn Rüschenkleider Geburtsgeschenke werden und es ein Problem ist, wenn das Kleinkind noch keine Ohrstecker hat: Das hat mir die liebe Susanne von Andalusienmutti verraten. Außerdem noch, welche Besonderheiten sonst noch so warten auf eine Deutsche in einem spanischen Dorf: Ein Interview über Kultur mit Kind zwischen zwischen zwei Kulturen. 

Wer verbirgt sich hinter „Andalusienmutti“?

Andalusienmutti und Tochter

Andalusienmutti bin ich, Susanne, 33 Jahre alt und studierte Magister auf italienische Kulturwissenschaften, Soziologie und Kunstgeschichte. Ein Weg über Italien und das Erasmusprogramm brachte mich irgendwie nach Spanien, wo ich hängenblieb, das nun schon seit neun Jahren. Vor fünf Jahren lernte ich den Mann kennen und zog nach einem Jahr zu ihm auf sein Dorf. Seit meiner Ankunft in Málaga arbeite ich hauptberuflich für eine deutsche Zeitung, die hier an der Küste einmal die Woche erscheint. Nein, hat nix mit meinem Studium zu tun, funktioniert aber trotzdem wunderbar. Ich bin verantwortlich für den Bereich Lebensart, die Herausgabe von Extrabeilagen, etwas Anzeigendesign und Community Management. Ich habe eine ganz tolle Chefin, die es mir erlaubt, vier Mal die Woche von zu Hause aus zu arbeiten, da unser Büro in Málaga, 50 Kilometer vom Dorf entfernt liegt. Einmal die Woche fahre ich dann in die Redaktion, und da freu ich mich immer drauf. Endlich wieder mit den Kollegen frühstücken und über Dinge sprechen, die ganz und gar nichts mit Kindern zu tun haben. Das ist auch so in etwa mein Alltag. Bis 16 Uhr arbeite ich, dann wird der Minimensch aus der Kindergrippe geholt und dann bin ich nur noch Mama. Der Mann ist von Beruf Sommelier, er arbeitet in einem Restaurants und fast ausschließlich abends. Meine Tochter und ich sind also eigentlich die meiste Zeit zu zweit, das kann recht anstrengend sein, wenn es ums Abendessen, Baden etc. geht. Ist aber manchmal auch ganz entspannt, weil ich mit niemanden rumdiskutieren muss, ob sie jetzt noch den Keks darf oder nicht 😉 Seit Dezember 2014 gibt es den Blog AndalusienMutti. Ich bin also noch ganz frisch im Geschäft und hab noch gar keine Ahnung, wie das so werden soll. Überrascht bin ich aber bereits von der Response, die man so kriegt, wenn jemand einen Beitrag kommentiert oder auf „Gefällt mir“ klickt, das hab ich immer Schmetterlinge im Bauch und freu mich sehr.

Kürzlich war auf Deinem Blog zu lesen, dass Dein Mann die Schwiegermutter noch schnell abholen musste. Kein Problem, denkt man, in Deinem Fall, war das allerdings auf dem Weg in den Kreißsaal. Wie lebt es sich mit Deiner spanischen Großfamilie?

Halloween im Dorf

Also im Großen und Ganzen liebe ich meine spanische Großfamilie sehr. Meine eigene Familie ist recht klein, es ist ein deutlicher Unterschied, aber es macht Spaß. Hierzulande wird mehr auf die Familie gebaut, was in Deutschland vielleicht eher die Freunde sind. Der Mann hat um die 40 Cousins, die meisten kenne ich ehrlich gesagt nicht einmal mit Namen, das überfordert mein Gedächtnis. Richtige Freunde hingegen hat er vielleicht fünf. Sonntags auf einen Kaffee wird sich eher mit den Cousins getroffen, als mit den Freunden. Die Andalusier an sich sind sehr familientreu, machen sehr viel mit den Mitgliedern. Manchmal kann es etwas anstrengend werden, denn man muss auch gewisse Erwartungen erfüllen. Kommt ein Baby auf die Welt, ist der Besuch der frischgebackenen Eltern obligatorisch, mit Geschenk versteht sich. Schon im Krankenhaus präsentierten sich mir zwei Onkels mit Ehefrauen, die dann eine Stunde lang an meinem Bett standen, viel zu erzählen hatten wir uns nicht, ich fühlte mich nicht nach Besuch, wollte sie am liebsten lautstark vor die Tür setzen und mein Kind war ja auf der Intensivstation.
Auch als wir zu Hause waren, kamen alle möglichen Tanten, Cousins und Freunde von Tanten und Cousins angetrudelt. Gern auch ohne Ankündigung, zu Uhrzeiten, die ich unmöglich fand. Ich habe mich dann immer zum Stillen ins Schlafzimmer zurückgezogen und hab den Besuch auf dem Sofa schmoren lassen. Selber schuld, wer ungefragt vorbeikommt. Das macht man nicht mit einer Deutschen! 🙂 Wahrscheinlich hatten sie noch auf selbstgebackenen Kuchen gehofft. Die Geschenke fand ich leider auch alles andere als hilfreich. Gern hätte ich paketeweise Windeln entgegengenommen, oder vorgekochtes Essen, das wäre doch mal was! Nein, hübsche Rüschenkleider und Ohrstecker. Dabei hat mein Kind mit 1,5 Jahren immer noch keine Ohrlöcher, was hier in Spanien übrigens ein Skandal ist. Die sticht man den Kleinen ja sozusagen noch fast im Kreißsaal. Ich spiele dann immer meinen Ausländerbonus aus und sage, das macht man bei uns nicht so und deswegen will ich es nicht. Mein Kind ist auch nicht getauft und der Mann und ich, wir sind auch nicht verheiratet, so jetzt ist es raus! Nein, ehrlich gesagt haben sich auch auf dem Dorfe die Sitten etwas geändert und man sieht das mit der Hochzeit nicht mehr ganz so eng. Obwohl ich ja schon irgendwann man heiraten möchte, aber dann müsste ich 300 Personen einladen. Die liebe Verwandtschaft, Nachbarn, Freunde etc. Wie gesagt, so eine Familie bringt auch einiges an Verpflichtungen mit sich. Das schreckt eher ab. Außerdem müsste der Mann ja erst mal einen hollywoodreifen Antrag mache, das kann noch dauern. 🙂

Bei der Zeitungslektüre


Welche kulturellen Unterschiede treten zwischen Dir und Deinem Mann auf, und wie beeinflussen die Eure Erziehung?

Vor der Geburt meiner Tochter ist es mir gar nicht so aufgefallen, doch meine spanische Familie ist eine reine Fernsehfamilie. In jedem Zimmer steht ein Fernseher, selbst im Schlafzimmer. Meine Nichten haben schon Apparate in ihren Kinderzimmern, mit drei Jahren! Das finde ich grauenvoll. Nun kann ich natürlich nicht die ganze Familie umkrempeln, das wäre vermessen. Das ist hier eben so. Der Mann ist damit aufgewachsen und versteht meinen Ärger nicht, wenn der Fernseher den ganzen Tag läuft. Ich versuche jedoch, immer mal wieder darauf hinzuweisen und Alternativen anzubieten. Gemeinsames Spielen auf dem Fußboden, ein Ausflug in Familie etc. Das ist nicht immer einfach, da auch die Arbeitszeiten des Mannes gemeinsame Aktivitäten erschweren.

Am Strand

Der Mann hingegen findet, ich spinne mit all meinen Büchern und Holzspielzeug. Ich sei manchmal verbohrt, was die Erziehung des Kindes angeht, ein deutscher Dickschädel, der auch mal alle Fünfe grade lassen sollte. Ich gebe zu, ich habe manchmal zu viel Angst und es fällt mir schwer, loszulassen und meiner Tochter das Risiko zuzutrauen. Die Rutschen sind zu steil, der Spielplatz nicht für Kleinkinder geeignet, aus meiner Sicht jedenfalls. Der Mann ist da lockerer und mahnt mich dazu, das Kind einfach mal machen zu lassen. Und das ist gut so. Aber das ist wahrscheinlich gar nicht so kulturell, sondern eher ein Unterschied zwischen Mama und Papa. Kulturell fällt mir noch auf, dass hier das gemeinsame Essen keinen so großen Stellenwert hat, wie in meiner deutschen Familie. Bei uns war das Abendessen dazu da, vom Tag zu berichten, Planungen zu übernehmen etc. Da auch beim Essen hier stets der Fernseher läuft, ist die Kommunikation gleich Null. Man stopft sich das Essen rein, wer fertig ist, stellt seinen Teller in die Spüle und verlässt den Raum. Als ich das das erste Mal erlebt habe, kam ich aus dem Staunen und der Sprachlosigkeit nicht mehr raus. Mittlerweile habe ich den Mann wenigstens soweit, dass er mit dem Aufstehen wartet, bis ich fertig bin.

Was möchtet Ihr Eurer Tochter auf jeden Fall aus beiden Kulturen mitgeben?

Weihnachten in Deutschland

An der spanischen Kultur gefällt mir die Pflege von Traditionen. Hier auf dem Dorf ist das wohl noch stärker, als in der Stadt. Die Spanier sind sehr stolz auf ihre Traditionen und ich denke, auch wenn immer mehr Dinge zum Beispiel aus den USA übernommen werden, wie Halloween oder Valentinstag, gehen die alten Riten hier nicht verloren. Ich habe zudem festgestellt, dass die Nächstenliebe hier sehr groß ist. Jedenfalls bei uns. Geht es einem Familienmitglied oder einem Nachbarn nicht so gut, ist sofort jemand zur Stelle. Man kann sich aufeinander verlassen. Diese Werte möchte ich meiner Tochter mitgeben.
Von deutscher Seite möchte ich ihr Zuverlässigkeit und Genauigkeit auch im beruflichen Aspekt, oder in der Schule bzw. Studium mitgeben. Dass sie in allem was sie tut, genau und konzentriert arbeitet, Dinge auch einmal hinterfragt und dass man sich auf sie verlassen kann, egal in welcher Sache. Die ‚Komme ich heute nicht komme ich Morgen-Mentalität‘ sollte sie nicht unbedingt übernehmen. Auch die Neugier auf andere Länder, das Erlernen von

Deutsche Fahnen zur WM

Sprachen hoffe ich, wird sie von ihrer deutschen Mutter übernehmen, obwohl da der spanische Vater gottseidank auch nicht typisch andalusisch ist und gerne reist und sogar annehmbar Englisch spricht, was hier nicht selbstverständlich ist. Ich finde die Einteilung, ‚Arbeiten wie eine Deutsche und leben wie eine Spanierin‘ ganz passend. Ich arbeite auch in einem deutschen Unternehmen, meine Kollegen sind Deutsche und das Arbeiten macht Spaß, weil es gut funktioniert, was man von den Spaniern nicht immer sagen kann. Dafür wissen diese aber umso besser, wie man das Leben genießt und nicht nur an die Arbeit denkt. Ein gesundes Mittelmaß in allem, das möchte ich meiner Tochter auf den Weg geben.

Welche kulturellen Vorlieben der einzelnen Mitglieder lebt ihr als Familie aus?

Viel unterwegs: in Ungarn

Wir lesen alle sehr sehr gern, auch der Minimensch hat jetzt schon am liebsten Bücher in der Hand, das freut mich sehr. Ich komme aus einer Familie, in der die Theaterkultur sehr groß geschrieben wurde, meine Eltern haben ein Jahresabo für Theater, Ballett und Oper. Zudem ist meine Mutter Kunsterzieherin, ich bin also auch ein bisschen in Museen groß geworden. Hasste ich als Kind und Jugendliche Aufenthalte in Kunstzentren, finde ich es heute sehr bereichernd und schön. Sobald meine Tochter das Alter erreicht hat, möchte ich sie an Kunst unbedingt heranbringen. Im Museum waren wir auch schon öfters, das musste ich dann aber irgendwann abbrechen, weil sie mir in der Trage zu schwer wurde 🙂
Ich war auch schon mit ihr im Puppentheater und das fand sie großartig, das wird also öfters gemacht. Der Mann ist Sommelier, seine kulturellen Vorlieben drehen sich alle samt um Wein und gutes Essen. Früher reisten wir viel, um Winzereien und gute Restaurants zu besuchen. Das geht jetzt natürlich nicht mehr so gut, das macht der Mann jetzt allein. 🙁
Letztes Jahr haben wir in Budapest gelebt, weil der Mann ein Jobangebot bekam. Eine tolle Stadt, die ich sehr vermisse. Das kulturelle Angebot, auch für Kinder war enorm. Jedes Wochenende gab es in irgendeinem Winkel ein Straßenfest. Der Mann hatte ein bisschen mehr Zeit und wir sind auch viel herumgereist, haben uns nicht nur Ungarn, sondern auch Wien, Prag, Bratislava und Brünn angeschaut. Das war eine wunderschöne Zeit, die wir sehr vermissen.


Wie entspannst Du am besten?

Entspannung gibt es bei mir selten, da ich oft mit meiner Tochter allein bin und zudem einen Vollzeitjob habe. Doch wenn ich mal Zeit habe, das Kind fest schläft, dann genehmige ich mir ein Glas Wein und gucke irgendeine Serie aus der ARD oder ZDF Mediathek. Lindenstraße, Rosenheimcops und solche Sachen finde ich super. Einfach mal berieseln lassen, nicht nachdenken und bloß gucken. Ansonsten ist mein Einschlafritual Lesen, mehr als fünf oder sechs Seiten schaffe ich zwar nie, dann schlafe ich schon ein, aber das ist ja dann wohl auch ein Zeichen der Entspannung. Was ich zudem gerne mache, was mir hilft, Angestautes loszuwerden, ist das laute Mitgrölen von Rocksongs im Radio. Wenn ich auf Arbeit fahre, drehe ich die Musik auf der Autobahn ganz laut und singe bzw. schreie mit. So komme ich recht entspannt im Büro an. Mit der Familie was zu unternehmen, ist zwar sehr schön, aber entspannend ist das nicht 😉

Die Kleinfamilie

Ihr habt auch ein Kind, interessiert Euch für Kultur und möchtet darüber reden? Schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.

Meine Interviewpartner über Kultur und Kind waren bereits:

Alu und Konstantin vom Familienblog Grosseköpfe: „Wir partizipieren anders, aber nicht weniger“.
Andrea vom Runzelfüsschen-Blog: „Liebeserklärung an das Lesen“.
Susanna vom Babyplausch-Blog: „Interview mit einer Berliner Bloggerin“.
Erotik-Autorin Andrea Blumbach: „Der Vorteil von Schubladen“.

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