Familienrollen, Kultur mit Kind

„Hebammen sind ja keine esoterische Deko, sondern Fachfrauen mit wunderbarem, tiefem Wissen.“

Meine Geburtserfahrungen sind sehr gut: Einen großen Teil trug meine Hebamme dazu bei. Einer der Gründe, warum ich überhaupt nicht verstehen kann, warum in letzter Zeit auf Twitter vermehrt Frauen nach Alleingeburt schreien. Mir ist nicht klar, warum man bei so einer wichtigen Sache plötzlich glaubt, dass der Alleingang der richtige Weg ist. Die Hebammensituation in Deutschland spitzt sich zu, aber das scheint mir sicherlich nicht die Lösung.

Mit Saskia, vom Blog Essential Unfairness habe ich darüber gesprochen, wie die Geburten ihrer vier Kinder an ganz unterschiedlichen Orten verlaufen sind und wie sie zum Thema Alleingeburt steht.

Du hast vier Kinder geboren: Einmal im Geburtshaus, einmal zuhause, zwei Mal im Krankenhaus. Welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht? 

Die Geburtshaus-Geburt: Meine erste Geburt begann am Abend des Tages ET+14. Am folgenden Tag hätte ich ins Krankenhaus gemusst, da es den Hebammen nicht erlaubt war, mich über 14 Tage nach dem Termin zu betreuen.
Im Geburtshaus hatte ich leider etwas Pech mit den Hebammen, die die Geburt unnötig verkomplizierten und „verschlimmerten“. (Am Ende ich wurde auch ohne Blutdruckmessen trotz höheren Blutverlusts nach Hause geschickt. Da kam ich dann so bleich an, dass eine sehr alte und besorgt aussehende Nachbarin mir aus dem Auto und über die Straße half.)
Dass es eine ambulante Geburt war, hat mir sehr gut gefallen – ich war gerne danach im eigenen Bett. Und produzierte in Ruhe den fehlenden Liter Blut nach …

Die Hausgeburt:  War sehr schön. Also so schön Geburten eben sein können. Ich vergesse nämlich nachher kaum ein Detail (liegt an diesem mistigen eidetischen Gedächtnis) und daher bezeichne ich Geburten nie als wunderschön und traumhaft. Bin ja auch nebenbei Realistin. Ich habe daran sehr schöne Erinnerungen und nicht nur angestrengte oder schmerzhafte. Daher war es eine schöne Geburt.

Ich wurde sehr gut betreut, das Kind kam termingerecht und in Begleitung der Hebamme, die mich während der Schwangerschaft wunderbar betreut hatte. Ich war zuhause, hatte alles das ich brauchte und entspannte danach erstmal. Auf dem Wohnzimmerfußboden (Geburtsort) und im Arm der Hebamme, zwischen uns das Baby. Mein Mann machte Tee und warf die zuvor frisch produzierte Wäsche in die Maschine. Das war alltäglich und wunderbar zugleich. Plazenta wurde aufbewahrt und später im Wald vergraben. Alles durch und durch natürlich und an sich sehr zeitlos.

Bei Kind Nummer 3 bin ich ins Krankenhaus zur Einleitung. Das war sieben Tage nach dem Termin und ich ließ die Geburt auf Wunsch einleiten. Ich hatte so viele Nächte vor lauter starker Vorwehen kaum noch geschlafen, war tags mit den beiden „Großen“ allein und am Ende. Aber Geburt war nicht in Sicht, wenngleich der Befund geburtsreif war – sonst hätte ich auch nicht anschubsen lassen.
Ich hatte vor, zwei Mal „primen“ zu lassen, also das wehenfördernde Gel zu bekommen. Wenn dann die Geburt nicht losgehen würde, dann behielt ich mir vor, weiter auszuharren. Hoffte aber schon, dass es anders käme.

Mit etwas Bammel vor einer klassischen Krankenhausgeburt harrte ich aus. Wehen kamen und ich blieb da. Es war aber viel angenehmer als ich es mir vorgestellt hatte. Und letztlich die sanfteste meiner Geburten. Ich war allein mit meinem Mann, die Hebamme kümmerte sich um eine „panische Erstgebärende“ und kam sich ab und an dafür entschuldigen, dass sie dauernd abwesend war, was ich nur mit einem zufriedenen Nicken beantwortete.
Abgedunkelter Kreißsaal und ich ganz entspannt. Ich sagte der Hebamme erst, dass ich sie brauche, als die Geburt 2 Minuten bevorstand. Die Hebamme war sehr nett und versiert.
Der Arzt war schrecklich. Er keilte beim Nähen seinen Arm brutal zwischen meine Beine und war ziemlich maulig. Er zumindest entsprach meinen Klischeevorstellungen.

Nummer 4s Geburt war sehr krass und zum ersten Mal im Leben wimmerte ich etwas von PDA. Die Hebammenschülerin war etwas überrollt von meinem krassen Schmerz (äh, genau wie ich …), reagierte aber sehr gut und erklärte, dass ab vier Geburten die Gebärmutter manchmal wahnsinnig aufdreht und irre Wehen produziere. Ich lernte daraufhin den nettesten aller Ärzte kennen, der mir einem ehrlichen Mitleidsgesicht nach der Untersuchung mitteilte: „Tut mir leid, aber für eine PDA ist es zu spät, da müssen sie jetzt leider so durch. Aber wir helfen ihnen. Wir sind alle da, um sie zu unterstützen. Zusammen schaffen wir das. Wir kümmern uns um alles – haben sie keine Angst.“

Welche Rollen haben die Hebammen bei Deinen Geburten eingenommen?

Bei der ersten Geburt fand ich den Einsatz der Hebammen überhaupt nicht gut und habe hinterher gedacht, im Krankenhaus hätte es „nicht schlimmer kommen können“. Die Haupthebamme hatte am folgenden Morgen Urlaub und trieb mich daher viel zu früh zum Pressen an. Ich will nicht allzu viele Details nennen, aber am Ende hatte meine Tochter ein (durch viel zu langes und heftiges Pressen verursachtes) Hämatom auf dem ebenfalls durch das Pressen deformierten Oberkopf und ich ein Geburtstrauma, das die folgende Geburt negativ beeinträchtigte. Und das Erste, das sie mir nach der Geburt sagte, war nicht: „Herzlichen Glückwunsch, endlich geschafft, hm?“ sondern ein dogmatisches „Der gebt ihr aber keinen Schnuller, ne?“

Bei Geburt Nummer Zwei war die Hebamme wunderbar. Sie hatte mich bereits bei der ersten Schwangerschaft betreut und war leider zum Geburtszeitpunkt (der ja 14 Tage nach ET war) in Urlaub und ich musste zu der anderen wechseln. Daher sicherte ich sie mir prompt für die geplante Hausgeburt, auf die sie sich sehr freute. Sie war einer großartige Begleitung und ich fühlte mich bei der erfahrenen Frau bestens aufgehoben.

Geburt Drei war ebenfalls von einer netten Hebamme gekennzeichnet, die mir aber völlig unbekannt war. Es war daher ganz anders als zuvor. Ich fand es gut, dass die „panische Erstgebärende da war“ und ich mit meinem Mann meine Ruhe hatte. Wir sind ein Geburtsteam und haben zwischen den wehen so unser Scherzchen gemacht. Das war sehr schön und irgendwie gemütlich. Die plötzlich kippende Atmosphäre, als die Geburt dann zum Ende kam und dieser unsägliche Arzt hereinpoltere, alles hell und ich aus meiner Stimmung gerissen wurde – das fand ich schrecklich. Klar hab ich mir gesagt, dass dies nun mal so die Klinikabläufe sind, aber ich fand sie dadurch nicht angenehmer.
Im Krankenhaus baut man ja vorher keine Bindung zur Hebamme auf und das merkt man natürlich auch. es sind halte Fremde, bei denen man hofft, dass sie zu einem passen und mindestens freundlich sind.

Geburt Nummer Vier war im Krankenhaus, weil man zwischenzeitlich eine leichte Hämophilie (Blutungsneigung) bei mir festgestellt hatte. Da darf einen dann keine Hebamme mehr alleine und ambulant entbinden. Obwohl ich nur bei der ersten Geburt viel geblutet hatte, sollte ich zur Sicherheit ins Krankenhaus.
Wieder war ich bei den beiden Hebammen sehr gut aufgehoben und auch der Arzt war klasse. Sie coachten mich alle dadurch und zwischendurch gab es little drama, weil die Herztöne stark abfielen und auch da blieben sie alle ruhig, obwohl ich merkte, dass Hektik angesagt war. Ich dachte nur „Bitte keine Sectio, ich tu ja alles“ und kurz danach war das Baby da.
Das Team war einfach Gold wert und der Arzt eben echt der Kracher, daher erwähne ich ihn als goldenes Beispiel, auch wenn Du nach Hebammen gefragt hattest:
Bei der Abschlussuntersuchung (ich hatte mich mal wieder vorzeitig entlassen) sagte er mit seinem deutlich hörbaren griechischen Akzent: „Sie taten mir so unendlich leid mit ihren krassen Schmerzen. Und ich wollte ihnen helfen, aber ich konnte nichts mehr tun, weil es das Baby sonst beeinträchtigt hätte. Sie haben das so toll gemacht, wir haben im Team heute noch darüber gesprochen und sie bewundert. Aber sie haben mir so leid getan. Man will immer helfen und wenn das nicht geht, schlimm …“ Und Achtung: Dabei hatte er ganz feuchte Augen. Falls ihn nun jemand heiraten will, nenne ich seinen Namen 😀

Wie stehst Du, als vierfache Mutter, zum Thema Alleingeburt?

Bei meiner zweiten Geburt hatte ich kurz darüber nachgedacht, die Hebamme nicht zu rufen und es alleine mit meinem Mann zu erleben. Ich lag in der Wanne und spürte, dass ich vor lauter Panik (wegen der ersten Geburt mit sehr schmerzhaftem Riss) innerlich verkrampfte. Ich dachte: Ich bleibe im Wasser, atme mal aus und dann traue ich mich. Mein Mann saß auf dem Klodeckel neben mit und ich traute uns das echt zu. Dann aber entschieden wir, die Hebamme anzurufen. Später, als ich ihr das Ganze erzählte meinte sie: „Ich wäre deprimiert gewesen, wer die Hebamme nicht ruft, hat kein Vertrauen in sie oder ihre Zunft.“ Bei mir wäre es vielleicht Letzteres gewesen, denn ihr vertraute ich.

Ich wollte einfach keinen da haben, der mich irgendwie unnötig quält, gegen meine (hinterher als richtig erwiesenen) Instinkte anquatscht und mich aus der „Geburtsmeditation“ holt. So nenne ich dieses tiefe Sich-Einlassen und Sich-Öffnen. (Das ist kein Fachbegriff.) Sobald man mich da rausholte, hatte ich Schmerzen oder Angst. War ich drin, habe ich auch in der Übergangsphase noch lächeln können. War ich raus, wurde es fies.

Ich vermute, das ist es, was Frauen zur Alleingeburt bringt: Misstrauen.
Vielleicht auch Abenteuerlust oder verklärte Ideen von naturalistischer Ur-Weiblichkeit. Danach kommt das Baby dann aber nicht in selbst gesponnene und genähte Leinenkleidchen, sondern in den Maxi-Cosi und zum sterilen Kinderarzt. Da geht für mich etwas nicht ganz auf.

Zudem gibt es Unsicherheiten, die zu hohen bis tödlichen Risiken führen können. Wenn ich mal bedenke, was alles passieren könnte. Und da wir uns alle im Auto anschnallen, zur Vorsorge gehen und uns die Zähen putzen: Wie viel Risiko halten wir Industriestaatenbewohner denn aus? Was können wir uns zumuten? Plötzlicher Geburtsstillstand, eine Frau, die panisch wird oder plötzlich auftretende Blutungen. Eine Plazenta, die sich nicht ablöst, eine Nabelschnur, die um den Halsgewickelt ist und mit jedem Mal Pressen die Luft abdrückt … ich will lieber doch nicht drüber nachdenken. Und da sitzt dann so ein werdende Papa oder eine Freundin und diese Laien sollen das abfangen? Wie denn? Wenn ich bedenke, dass ich durch meine unbekannte Blutungsneigung hätte in arge medizinische Not kommen können – das kann einem auch passieren, wenn man damit dann ganz alleine ist …

Eine fachkundig begleitete Hausgeburt ist etwas ganz Anderes als eine Alleingeburt. Und nicht vergleichbar.

Ich würde mir zutrauen, im Notfall ein Kind alleine zu bekommen. Ich würde das aber niemals wollen. Weil es sicherer für Kind und Mutter ist. Weil’s schön ist, sich fallenzulassen und jemand an der Seite zu haben, der weiß, was zu tun ist. Hebammen sind ja keine esoterische Deko, sondern Fachfrauen mit wunderbarem, tiefem Wissen. Sie haben oftmals dieses gewisse Etwas, das uns spüren lässt: Diese Frau hat schon viel gesehen und kann mir wunderbar beistehen.
Hebammen haben oft auch so ein Leuchten – das finde ich immer ganz bemerkenswert.

Danke Saskia für Deine Offenheit. 

Wo habt Ihr Euer Kind zur Welt gebracht? Und wie steht Ihr zu der Idee der Alleingeburt?

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