Kultur mit Kind, Nachgefragt

„Die Kinder erleben Gleichberechtigung und Vereinbarkeit.“ / Kultur mit Kind Interview mit Jenny, Mutter von Zwillingen

Warum Jenni (Blog: Flavius und Brutus) ihren Zwillingsjungs auch mal Kleider anzieht, wie sie ihre Jungs in ihren Studentenalltag integriert und was der Vorteil am frühen Aufstehen ist, das alles erzählt mir Jenni im Kultur mit Kind- Interview. 

Ihr seid ein junges Studentenpaar, Zwillingseltern und habt neuerdings auch einen Hund: Welche Grundsätze sind Euch bei der Erziehung besonders wichtig? 

Ich habe mal auf dem Blog der Auftragsmama geschrieben,  unser Erziehungsmotto wäre „Brot und Spiele“. Erstens, weil es sich mit Zwillingen oft anfühlt wie in einer Arena, und zweitens mit dem Hintergrund, dass Kinder ganz gut großwerden, wenn sie das zugestanden bekommen, was sie brauchen: Liebe, Bedürfniserfüllung, Respekt, Freiheit, Teilhabe. Darin geben wir uns sehr große Mühe.

Und als Erziehungsziel wünschen wir uns, dass die Zwillinge selbstbewusste, offenherzige, warme Menschen werden. Ich studiere auf Lehramt und sowohl in Pädagogik als auch in Philosophie konnte ich einen fundierten Theoriehintergrund gewinnen, was zum Beispiel Entwicklung oder Befähigung zum guten Leben angeht.

Die Kinder erleben Gleichberechtigung und Vereinbarkeit. Sie wissen, dass wir beide viel und in jeder freien Minute etwas für die Uni erledigen. Das merkt man daran, dass wir letztens einen Laptop für das Kuscheltier basteln mussten. Trotzdem kommen die Kinder nicht zu kurz, darauf achten wir natürlich. Und sie sind oft dabei in der Uni und erleben dort eine ganz spezielle Kultur mit unfassbar vielen verschiedenen Menschen.

Sie waren schon bei philosophischen Referatstreffen anwesend und mussten mit in die Bibliothek zum Kopieren. Das ist alles für sie selbstverständlich. Im Kindergarten haben sie die gleiche Vielfalt und es werden verschiedene kulturelle Feste berücksichtigt. Die Kinder sehen alle ganz unterschiedlich aus und sprechen locker drei oder vier verschiedene Sprachen (10 Kinder insgesamt), und doch ist das nichts Besonderes für die Zwillinge. Offenheit und Vielfalt sind ganz normal.

Unser Umfeld reagiert auf das verrückte Studenten-Elternleben ganz unterschiedlich. Meine Familie hat es quasi in den Genen, zu unpassenden Zeitpunkten uneheliche Kinder zu bekommen, darum war niemand groß geschockt. Die Stimmung ist da eher „das kriegen wir schon hin!“ Meine Mutter ist immer ganz begeistert von dem, was die Zwillinge schon erleben. Sie sagt, das kann nur gut für sie sein. Mein Opa findet das auch.

Ein paar Verwandte sind manchmal skeptisch, auch weil die Zwillinge schon zur Kita gehen. Ganz doof finde ich, wenn man uns sagt „Dafür macht ihr das aber so toll.“ Also, dafür, dass wir Kinder haben, studieren wir gut. Oder dafür, dass wir so jung sind (?) kommen wir mit den Kindern gut klar. Da fühle ich mich nicht ernstgenommen.

Wir erleben auch unterschiedliche Reaktionen auf unsere Erziehungsgrundsätze, das ist ja alles sehr modern und anders und früher hat man es anders gemacht und die Kinder sind trotzdem groß geworden. Wir haben im ersten Jahr viele Kleinigkeiten diskutiert und unseren Punkt klar gemacht, zum Beispiel, als wir uns gegen Brei entschieden, und mittlerweile haben sich alle dran gewöhnt oder stimmen uns auch zu. Da besteht ja einfach dieses Problem, dass man schnell denkt, wenn jemand es anders macht als man selbst, ist das eine Kritik, aber das stimmt ja nicht. Die Großeltern und Urgroßeltern sind stolz, dass ihre (Ur-)Enkel so selbstständig, autonom und frei sind und so viel selbst entscheiden können.

Dass Toleranz wichtig ist, höre ich häufig. Bei Euch geht es soweit, dass die Jungs Kleider tragen. Wie kam es dazu und vor allem, wie reagiert das Umfeld darauf? 

Wir gehen einfach darauf ein, was die Jungs sagen. Kleidung ist ihnen nicht egal (ich kenne viele Kinder, die sich egal was anziehen lassen), sondern sie mögen zum Beispiel gern Tieraufdrücke. Und sie sprachen seit Wochen von ihrem eigenen Kleid, um genau zu sein, von ihrem „Tigerkleid“.

Ich finde, Geschlecht ist keine hinreichende Begründung dafür, ob man etwas anziehen kann oder nicht. Letztendlich sind es nur Kinder und Klamotten beziehungsweise Spielzeug oder Farben. Hätten sie sich einen Pullover mit Auto drauf gewünscht, hätte ich dem ebenso entsprochen.

Wir respektieren also ihren Geschmack und unterstützen sie in ihrer Selbstwirksamkeit. Das Umfeld reagiert unterschiedlich darauf, zum Beispiel halten Fremde die beiden in ihren Kleidern natürlich für Mädchen.

Aber innerhalb der Familie lassen wir nicht zu, dass jemand zu den Zwillingen so etwas sagt wie „Oh nein, jetzt siehst du ja aus wie ein Mädchen“ oder so. Im Kindergarten wurden wir für unsere Haltung gelobt und sind sofort 5 cm gewachsen. Eine Erzieherin erzählte, dass sie schon Eltern erlebt haben, die ihre Kinder dadurch gebrochen haben, dass sie nichts haben durften, was nicht rollenkonform war.

Das ist so schrecklich. Grundsätzlich ist es ja so: Es wird immer Spielsachen, Klamotten, Hobbys oder Interessen geben, die wir als Eltern blöd finden, ob aus pädagogischer Perspektive, durch Sozialisierung oder einfach nur so, aber das gibt uns nicht immer das Recht, es zu unterbinden.

Meistens verstärkt das ja nur den Wunsch (jeder kennt doch das Kind, was keine Süßigkeiten darf und sich dann auf dem Kindergeburtstag vollstopft und kotzt).

Ich glaube, es ist gut für die Seele und die Persönlichkeitsentwicklung, wenn die Kinder merken, dass ihre Wünsche Relevanz haben, dass sie sich ausprobieren dürfen und dass sie die Person sein können, die sie möchten. Dann gehen sie hoffentlich genauso auch auf andere Menschen zu. Für mich hat das einfach etwas mit gegenseitiger Achtung zu tun.

Welche herkömmliche Art von Kultur nutzt Ihr mit Euren Söhnen? 

Die Stadt, eine mittelgroße im schönen NRW,  bietet da an herkömmlicher Kultur recht viel an, aber für vieles sind die Kinder noch zu klein. Wir waren einmal bei „Klassik ab Null“, aber das war leider vollkommen kinderungeeignet. Die Kinder sollten stillsitzen und durften nicht herumrennen und das Ganze ging eine Stunde. Einer der Zwillinge konnte das richtig genießen, der andere fands grausam.

Es gibt auch manchmal Kinderfeste oder Puppentheater, aber das wird nächstes Jahr interessanter für uns. Wir haben immer ein kleines Auge darauf, was es so für Veranstaltungen gibt. Dem freien Spiel mit anderen Kindern messe ich aber höheren Wert bei.

Herkömmliche Kultur, die wir auch wahrnehmen, ist die Familienkultur. Ich habe drei Geschwister und drei Paar Großeltern, das heißt, die Zwillinge haben Tanten, Onkel, Großeltern und Urgroßeltern und wir fahren jedes zweite bis dritte Wochenende in meine Heimat.

Da erfahren sie so viel Rückhalt und erleben ganz andere Sachen als mit uns. Meine Schwester hat die Zwillinge schon zu Fuß mit auf Hundespaziergänge genommen (also ohne Kinderwagen), als sie gerade ein Jahr alt waren da hätte ich nie gedacht, dass sie die Strecke überhaupt schaffen. Festlichkeiten wie Geburtstage, Ostern oder Weihnachten sind auch ganz wunderbar für die beiden.

Welche neue Art der Kultur nehmt Ihr mit Euren Söhnen bereits wahr? 

Wir pflegen die Kultur der Fantasie. Wir lesen viel, erzählen uns Geschichten, malen und basteln zusammen. Letztens spielten sie am Tisch, die Apfelschnitze seien Pferde. Ich finde das schön. Oder sie haben jeder einen Bindfaden und ein Tuch und spazieren durch die Wohnung, ganz in ihrer Welt, irgendein Spiel, das nur sie verstehen. Kinder sind so kreativ.

Ich unterstütze sie gern darin und hoffe, sie können sich so ein bisschen etwas davon für später erhalten. Draußen sind sie von einem Stock inspiriert und erzählen mir, der Stock sei jetzt ein Besen oder ein Einhorn. Als wir letztens einen Schuh verloren hatten, erzählte einer der beiden: „Suh weg! Vogel klaut! Vogel Nest! Da oben, Papa klettert.“ Das ist doch herrlich.

Ich habe als Kind die Kultur der Fantasie ganz alleine gepflegt und es war für mich auch eine eigene Welt zum Abtauchen. Ich hatte unzählige Geschichten, Charaktere und Orte in meinem Kopf. Draußen bzw. in der Natur sein ist übrigens auch ein wichtiger Teil von Kultur, finde ich. Wir wohnen ganz nah am Wald und ein Waldspaziergang beschäftigt die beiden völlig und macht sie ganz selig. Bewegung und freies Spiel und das in der Natur, das ist perfekt.

Was wir noch pflegen und was mir kulturtechnisch noch sehr wichtig ist, kann man vielleicht Kultur der Dazugehörigkeit nennen. Kinder gehören nämlich dazu, Punkt. Wenn ich mich nachmittags mit meinen Freundinnen zum Kaffee treffe, sind die Kinder selbstverständlich dabei. Gut, mit den beiden kann man auch problemlos ins Café gehen, weil sie so gern Milchschaum trinken. Aber trotzdem, wir machen es dann oft so, dass wir Kaffee trinken und dann zusammen auf den Spielplatz gehen, also dass es am Ende für alle ein netter Nachmittag war.

Die Zwillinge lieben ja meine Freundinnen. Jeden Tag fragen sie, ob jemand zum Spielen vorbei kommen kann. Und wenn eine mit zum Abholen zum Kindergarten kommt, dann sind sie ganz außer sich vor Freude. Das ist ein Vorteil als Studentenkind: Die Eltern haben tendenziell einige kinderlose Freunde, die Lust auf Spielen haben.

Zwillinge, Studium, Mann, Welpe: Wie entspannst Du? Lieber alleine, oder mit allen zusammen? 

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich mache das so: Zwischen vier und fünf stehe ich auf, koche Kaffee und arbeite in Frieden Emails ab. So habe ich Zeit für mich, und das schon vor dem Frühstück! Tagsüber komme ich nicht zur Ruhe. In der Uni ist es sehr laut, darum gehe ich in den Pausen immer in die Bibliothek und arbeite dort. Wenn die Kinder dann abends schlafen, so gegen halb 9, verbiete ich mir meist, etwas für die Uni zu tun. Dann guck ich mit Mr. Geilo Serien.

Ich drehe durch, wenn ich abends noch etwas organisieren oder schreiben muss, also das ist wirklich das Schlimmste für mich. Und kommt leider zu oft vor. Wie ich noch entspanne: Ich mache um 22:00h Schluss und gehe ins Bett, um genug Schlaf zu kriegen.

Das hat alles sehr viel mit Selbstdisziplin zu tun, das ist das Geheimnis, aber wenn ich mich nicht daran halte, werde ich unruhig und gestresst. Bewusst kleine Zeiträume für sich selbst schaffen hilft mir sehr. Am Wochenende finde ich es entspannend, bei meiner Familie zu sein und mich bei meiner Mutter an einen gedeckten Frühstückstisch setzen zu können. Das ist wunderbar.

Aber auch Zuhause einfach mit den Kindern im Schlafanzug zu kuscheln und zu spielen und sich Zeit für alles zu nehmen finde ich ganz wunderbar. Und der Welpe sorgt auch für eine gewisse Beruhigung unter den Kindern. Sie kuscheln ihn und rennen mit ihm und haben zu dritt ihre ganz eigenen Spiele. Da bin ich dann oft raus und das ist auch schön.

Vielen lieben Dank für das Interview, Jenni.

Die Bilder wurden freundlicherweise von Jenni zur Verfügung gestellt.

Ihr habt auch ein Kind, dem ihr Toleranz beibringt und wollt darüber reden? Schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

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