Familienrollen, Kultur mit Kind

„Ich sagte ihr in etwa, dass ich mich in meiner männlichen Rolle nicht mehr wohl fühle.“ / Nina über ihr Coming Out und das Geschlechterbild

Nina wurde in einem männlichen Körper geboren. Heute lebt sie als Frau und bloggt auf Frau Papa  über ihren Alltag. Wie es ihr mittlerweile damit geht, was ihre vier Kinder dazu sagen und wie ihre Ehefrau Jane damit umgeht,  das erfährt im Familienrollen-Interview der Woche mit Nina und Jane.

Nina, Du bist in einem männlichen Körper geboren, lebst heute als Frau: Gab es diesen einen Schlüsselmoment und wie kam es letztlich zum Coming Out?

Jane und Nina im Urlaub. 

NINA: Ich fange gleich einmal am Ende der Frage an: ich bin eine Frau, also das ist meine Geschlechteridentität. Ich lebe als Frau, weil ich eine bin und immer war. Bei der Geburt wurde mit lediglich aufgrund der Anatomie als Geschlecht männlich in die Geburtsurkunde eingetragen. Seit letztem Jahr habe ich aber eine richtige Geburtsurkunde.

Coming out und die eigene Erkenntnis meiner Identität möchte ich hier mal trennen. Bereits im Kindergarten fühlte ich mich unter den Buben falsch. Die Mädchen, ihre Spiele, ihre Themen, ihre Kleidung waren für mich immer attraktiver. Schon früh versuchte ich zu vermitteln, dass ich mich als Mädchen fühlte. Dazu muss ich sagen, dass ich in einem katholisch geprägten, eher konservativem Umfeld aufwuchs. Transsexualität passte in keiner Form in das Weltbild meiner Familie.

Wenn ich Fragen stellte, warum ich kein Mädchen sein kann, wurde das mit „Weil du ein Zumpferl hast“, beantwortet. Und mein Wunsch Kleider zu tragen war nicht einmal im Fasching ohne Spott möglich. So war ich Struwelpeter statt Prinzessin. Irgendwann resignierte ein Teil von mir und ich lernte in der Gesellschaft als Mann zu funktionieren. Doch meine Schulzeit war davon geprägt, dass ich von den Jungs oft fertig gemacht wurde, weil ich zu sensibel und schwächlich war. Ich verstand die Mädchen, verstand warum sie sich von den Buben fern hielten. So wurde ich das, was man Frauenversteher nennt.

Mein erstes Coming Out hatte ich bereits mit sechzehn Jahren. Ich erinnere mich gut daran, dass ich einer sehr engen Freundin sagte, dass ich lieber eine Frau sein wollte. Ich wusste damals nichts über die Behandlungsmöglichkeiten bei Transsexualität und alles was mit Männern in Frauenkleidung zu tun hatte, war in meinem Umfeld einfach „pervers“ oder fand als Einlage beim Faschingsball statt. Entsprechend überraschend war die Reaktion meiner Freundin, die mich fragte, wie ich mir das vorstellen würde und was dann aus meiner Familie würde. Ich zog mich also zurück in meine Rolle.

Als meine zweite Ehe scheiterte fand ich eine Therapeutin, mit der ich auch das Thema Transsexualität ansprechen konnte. Ich war über dreißig und meinte, es wäre besser weiter als Mann zu leben, als mit großem Aufwand eine hässliche Frau zu werden. Eine Frau, die sich ständig erklären muss und gesellschaftlich ausgegrenzt wird.

Mein wichtigstes Coming Out war das bei meiner Frau Jane. Es war einige Monate vor der Geburt unseres zweiten gemeinsamen Sohnes und ich sagte ihr in etwa, dass ich mich in meiner männlichen Rolle nicht mehr wohl fühle. Ich habe sie nicht vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich glaube, das hätte ich gar nicht gekonnt. Wir beschlossen gemeinsam heraus zu finden, wie weit mein Bedürfnis Frau zu sein, ginge. Alle Schritte, die ich von da an machte, passierten gemeinsam mit meiner Frau und später auch mit meinen Kindern.

Du schminkst Dich als Frau, nimmst Hormone und trägst hohe Schuhe: Wie weit möchtest Du gehen, ist eine Totaloperation eine Option für Dich oder setzt Du Grenzen?

Foto: @A. Höhne. Oktober 2014.

NINA: Ich muss ein wenig schmunzeln, wegen der Frage zur geschlechtsangleichenden OP. Mein Geschlecht wird nicht durch meine Genitalien bestimmt und ehrlich gesagt, ist das ein Thema, das abgesehen von meiner Frau, nur mich und die behandelten Ärzte etwas angeht.

Die Frage, wie weit ich gehen will: Ich bin eine Frau und habe aufgehört mich ständig als Mann oder Trans zu fühlen. Ich glaube, ich bin weiter gekommen, als ich je erwartet hätte.

Als Du, Jane, Dich in Nina verliebt hast, war sie noch nicht Nina, sondern er war noch ein Mann. Wie ging es Dir damit und wie ist es heute für Dich? 

NINA: (lacht) in sexueller Hinsicht. Das kann spannend werden.

JANE: Mich störte das im ersten Moment nicht so groß, weil mir egal ist, ob ich Männer oder Frauen liebe. Der Schritt in die Öffentlichkeit war schwieriger, als das sexuelle, weil es einfach ungewohnt war und eben mit vielen bescheuerten Blicken und Reaktionen verbunden war. Und natürlich kam es auch gerade anfangs zu modischen Entgleisungen. Das hat sich aber schnell gelegt.

NINA: Dann war noch der Aspekt mit der Ehe. Bei der Hochzeit war ich ja bei dir schon geoutet.

JANE: Geheiratet haben wir trotzdem. Es gab später viel Unsicherheit, wie es mit dem Status der Ehe nach der Änderung von Namen und Geschlecht wird. Vor allem, weil man sehr unterschiedliche Erfahrungsberichte mit Ämtern im Netz finden kann.

NINA: Es fällt Dir also nicht schwer, dass ich deine Frau bin?

JANE: Nein. Anfangs schon, aber das hatten wir ja eine Umgewöhnungszeit, wie die Kinder mit dem neuen Vornamen. Ist viel Gewohnheit. Man darf halt einfach nicht erwarten, dass alles von Jetzt auf Gleich klappt.

Ihr habt gemeinsam vier Kinder zwischen 12 und 5, die entweder Papa oder Nina zu Dir sagen: Wie gehen die Kinder mit der Situation um? 

Nina und Kind. 


JANE: Wir reden mit den Großen relativ viel, weil sie auch viele Fragen hatten, die Kleinen wuchsen mehr mit der Situation auf. Wenn Kinder Fragen haben, dann ist das Wichtigste: ehrlich sein zu den Kindern. Alle vier Kinder haben einen riesen Schub in Sachen Toleranz gemacht und in manchen Dingen einfach ein dickes Fell bekommen.

NINA: Einer der Gründe für mein Coming out war, dass ich den Kindern vorleben will, dass sie zu sich selbst stehen dürfen, egal, wer oder was sie sind. Außerdem haben wir bei den ersten Schritten in die Öffentlichkeit immer die Kinder mit einbezogen. Inzwischen bin ich einfach Nina und eben ein wenig anders als andere Frauen und andere Väter. Aber alle vier Kinder laden gerne mal Freunde nach Hause ein. Ich denke, das würden sie nicht tun, wenn sie damit Probleme hätten, dass ich eine Frau bin.

JANE: Das sehe ich auch so.

NINA: Unser mittlerer Sohn sagt allen, die ihm Fragen zu mir stellen, sie sollen mich doch selbst fragen. So hat jedes Kind Strategien entwickelt.

Welches Geschlechter-Rollenbild möchtet Ihr Euren Kindern vermitteln? 

JANE: Keines.

NINA: Meine Erfahrungen mit Rollenbildern hinterließen nicht gerade die besten Spuren. Wir lassen den Kindern den Freiraum, ihre Rollen zu finden. Wir mischen uns selten in Kleidungs- oder Spielzeugwünsche ein.

Wie reagierte das Umfeld auf Deine Veränderung, Nina? Musst Du Dich häufig erklären? 

NINA: Das Umfeld reagiert sehr unterschiedlich. Ich bin sowohl im Kindergarten, als auch in der Schule Elternvertreterin. Generell ist es den meisten Menschen wahrscheinlich eher egal, zumindest erfahre ich keine breite Ablehnung. Ja sicher, es gibt auch Leute, die nicht damit umgehen können, aber die Menschen, denen ich begegne haben sich wahrscheinlich zum Großteil an mich gewöhnt.

Meine Familie… das ist etwas komplizierter. Meine Schwestern gehen seit dem Coming out sehr positiv mit mir um. Meine Eltern haben da mehr Schwierigkeiten, aber ich hoffe, dass sich das mit der Zeit legen wird.

Aktuell suchst Du grad einen Job: Thematisierst Du Deine Transsexualität bei Bewerbungen und wie wird das aufgenommen?

NINA: Ich habe meine Bewerbungen nach der Namensänderung geändert, aber ich hatte kein Bedürfnis die alten Zeugnisse neu ausstellen zu lassen. Meine Transsexualität kann ich nicht verstecken – anders als viele andere Transmenschen – und spätestens wenn jemand meine Stimme hört wird klar, dass ich nicht in einem weiblichen Körper geboren wurde. Also ja, ich habe einen Absatz im Lebenslauf, der meine Transsexualität ganz offen und direkt anspricht. Natürlich weiß ich, dass dadurch eine gewisse Diskriminierung passieren kann, aber wer mein Geschlecht wichtiger nimmt, als mein Qualifikation, das ist kein Arbeitgeber, bei dem ich ein gesundes Klima zu erwarten hätte.

Was wünscht Ihr Euch als Familie für die Zukunft?

NINA: Gesundheit.

JANE: Weniger Idioten.

Vielen liebe Dank Euch Zweien. 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

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