Familienrollen, Kultur mit Kind

„Behinderte Kinder und Erwachsene wissen, dass sie auffallen, dass sie nicht der Norm entsprechen. Es wäre schöner, wenn Menschen ihnen ein Lächeln schenken, statt eines starrenden Blickes.“ / Christin in den Familienrollen


Christin (twittert als Vorstadtzauber) hat zwei Kinder. Die kleine Tochter sitzt im Rollstuhl. Welchen Umgang sie sich für ihre Tochter wünscht, wo sie gerne Unterstützung hätte und was sie immer wieder von ihren Kindern lernt: Davon erzählt sie in den Familienrollen.

Du bist Teil einer vierköpfigen Familie: Stell Euch doch mal kurz vor. 

Wir sind eine ganz normale Familie: Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Christopher (31), Christin (29), Maximilian (7) und Emma Lotta (4). Auf den ersten Blick eine durchschnittliche Vorstadtfamilie. Ich studiere von Zuhause per Fernstudium und mein Mann arbeitet in einem Verlag. Max geht in die erste Klasse und Emma in den Kindergarten.

Der kleine, aber feine, Unterschied ist der Rollstuhl in dem unsere Elfe sitzt. Sie hat eine angeborene Gehirnfehlbildung, das heißt ihr motorischer Bereich im Hirn ist nicht angelegt. Dadurch fehlen ihr alle Grundvoraussetzungen, um Bewegungen zu erlernen. Inzwischen haben wir viel erreicht. Emma ist als Integrationskind in einem Regelkindergarten und liebt es.

Wie sieht Euer Alltag aus? 

Mein Mann ist noch ganz klassisch der Ernährer. Fährt morgen um 7.50 Uhr mit der Bahn und kommt Abend gegen 19.30 Uhr nach Hause. Alles was dazwischen ist, das organisiere ich: Schule, Kindergarten, Physiotherapie, Logopädie, Arztbesuche, Sport, Klavier, Freunde und Geburtstage. Nebenbei studiere ich Gesundheitsmanagement über ein Fernstudium. Manchmal ist es ganz schön viel, oft auch ziemlich stressig, aber alles in allem kriegen wir das gut hin.

Wir sind gut organisiert und ziehen an einem Strang. Oft stehen uns im Alltag, die kleinen Dinge, im Weg. Menschen, die auf behinderten Parkplätzen unberechtigt parken, keine barrierefreien Eingänge, Menschen die dumme Kommentare über Emma abgeben. Das sind die kleinen Kämpfe im Alltag, die doch die meiste Kraft rauben.

Deine Tochter ist schwerbehindert. Wie wünscht Du Dir, dass Menschen mit denen ihr täglich zu tun habt, mit Euch umgehen? 

Ich freue mich, wenn Menschen fragen und interessiert sind. Kluge Ratschläge allerdings kann ich nicht gebrauchen: „Wenn man Kinder immer trägt, lernen sie nie laufen.“ Ist nur einer der harmlosen Kommentare. Viele haben Berührungsängste, aber das braucht niemand haben. Emma liebt Spielen im Sand, Puppen, Schaukeln, Schwimmen und Malen. Genauso wie alle anderen Vierjährigen.

Wenn mir jemand sagt, dass er nicht weiß, wie er mit Emma umgehen muss, erkläre ich es gerne und meist verschwindet die Hemmschwelle ganz fix.

Behinderte Kinder und Erwachsene wissen, dass sie auffallen, dass sie nicht der Norm entsprechen. Es wäre schöner, wenn Menschen Ihnen ein Lächeln schenken statt eines starrenden Blickes.

Du hast mal gesagt: „Man lernt Krieg gegen Ämter und Krankenkassen zu führen, selber Spielzeug zu bauen, aber am meisten lernen wir von Emma und Max.“ Was lernst Du von Deinen Kindern?

Emma und Max sind fast schon symbiotisch. Trotzdem Emma nicht spricht, versteht Max immer was sie möchte. Wenn sie zusammen spielen ist es egal, dass Emma nicht laufen oder sprechen kann. Kinder nehmen Kinder so wie sie sind. Es spielt keine Rolle, welche Haarfarbe, Hautfarbe oder welches Handicap ein Kind hat. Es ist ein Kind, ein Freund und Spielgefährte.

Kinder sind nicht voreingenommen, tolerant und neugierig. Es ist wunderbar zu beobachten, wie einfach die Welt in ihren Augen ist.

Wo wünscht Ihr Euch noch Unterstützung? 

Wir haben viel Unterstützung durch unsere Familien und Freunde. Das ist ein riesiges Glück und enormer Luxus. Mehr Unterstützung wünsche ich mir von Ämtern und Behörden. Dieses ewige Anträge schreiben, begründen und erklären ist ein echter Kraftfresser. Man hat das Gefühl sich permanent für sein behindertes Kind rechtfertigen zu müssen. Finanziell sind die Unterstützungen ehrlich gesagt ein Lacher.

Uns fehlt ja quasi ein komplettes Einkommen: Dass wir mit 728€ abgleichen. Der Mehraufwand der anfällt auch. Wir müssen extra Schuhe kaufen, die über ihre Fußorthesen passen, haben Zuzahlungen zum Autositz und Fahrrad zu leisten. Jetzt im Hausbau geht es weiter.

Wir möchten einen barrierefreien Bungalow bauen, um Emma die Möglichkeit zu bieten selbstständig zu sein. Es gibt da verschiedene Bezuschussungen, aber der Großteil bleibt bei uns. Auch wenn ich an Emmas Zukunft denke, bekommen ich Bauchschmerzen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder dürfen wir für Emma kein Geld ansparen. Zur Zeit versuche ich sowas noch zu verdrängen, aber irgendwann werden uns auch diese Probleme einholen.

Was genau meinst Du damit?

Wir dürfen für Emma auf Grund des Teilhabegesetzes kein Geld ansparen bzw darf Emma auf Grund ihrer Behinderung, egal welchen Job sie mal haben wird, nicht mehr als 798€ verdienen.

Menschen mit Behinderung, die Unterstützung im Alltag benötigen (Kochen, Körperpflege, anziehen, ect. ), werden im Rahmen der „ergänzenden Sozialhilfe“ finanziert. Das heißt es gelten die gleichen Regeln wie für Menschen, die nicht arbeiten und kein Einkommen haben.

Folge daraus ist: sie dürfen nicht mehr als 798€ verdienen. Alles was darüber hinaus geht, wird mir mindestens 40% vom Amt eingefordert.

Sie dürfen maximal 2600€ ansparen, keine Bausparverträge oder Lebensversicherung besitzen und nichts erben. Selbst die Lebenspartner werden mit ihrem Vermögen herangezogen.

Es ist schlimm, unfair und die Gesellschaft ist leider noch viel zu blind dafür. Menschen mit Behinderungen werden von vornherein sämtliche Möglichkeiten genommen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Frage ist: Warum darf ich für mein gesundes Kind Sicherheiten anlegen aber für mein hilfsbedürftiges Kind nicht?!


Welche besonderen Momente schätzt Du mit Deiner Familie ganz besonders?

Die schönsten Momente sind die in denen wir ganz bei uns sind. Nur wir vier. Egal, ob Sonntagmorgen im Bett, am Strand an der Ostsee oder wenn wir auf Reisen sind. Diese Sicherheit, dass wir zu viert alles schaffen ist wunderbar und pures Glück.

Was wünscht Du Dir für Dich und Deine Familie für die Zukunft?

Ich wünsche uns eine langweiliges Jahr, eines ohne Höhen und Tiefen. Für Emmas Zukunft wünsche ich mir eine Gesellschaft, die versteht das Perfektion kein Muss ist und jeder Mensch Potenzial hat großartig zu sein auf seine eigen Art und Weise.

Danke Dir für Deine Offenheit und alles Gute für die Zukunft. 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 


Themen der letzten Wochen:
Previous Post Next Post

You Might Also Like