Alltag, Elternfragen

Alleinerziehend: „Entscheidend ist nicht unbedingt die Trennung, sondern wie die Eltern nach der Trennung miteinander umgehen.“

Wie Alleinerziehende dauerhaft gesund bleiben, auf welche Art die Konflikte mit dem Ex-Partner bewältigen, wie ist das mit dem Unterhalt und der Kinderbetreuung bzw. was macht das mit dem Elternteil und was können Freunde und Familie von Alleinerziehenden tun, um diese zu stärken?

 

Dr. Alexandra Widmer hat ein Projekt zur Hilfe zur Selbsthilfe von Alleinerziehenden gegründet, das Buch Stark und alleinerziehend: Wie du der Erschöpfung entkommst und mutig neue Wege gehst geschrieben und den Award 2017 für soziale Werte der Zeitschrift Emotion gewonnen: Nun gibt sie im Elternfragen-Interview einen Einblick in ihre Arbeit. 

 

Du bist Psychotherapeutin und Ärztin. Mit „Stark und alleinerziehend“ hast Du ein Projekt gegründet, dass sich um die Gesundheit von Alleinerziehenden dreht. Warum glaubst Du ist Deine Arbeit in dem Bereich so wichtig?

 

 

Die Vereinbarkeit von Job, Kind und Haushalt ist oft nicht mal mit zwei Elternteilen zufriedenstellend umsetzbar. Alleinerziehend ist es völlig utopisch, allen Bereichen gerecht zu werden.

 

Menschen, die dann einen hohen Anspruch an sich haben, werden früher oder später an ihre gesundheitliche Grenzen stoßen. Mit einer Scheidung bzw. Trennung ist es dringend notwendig, eigene Überzeugungen zu hinterfragen. Sonst ist der Burnout oder auch die Depression sehr nah. Andererseits sind schon die schlechten sozioökonomischen Bedingungen für Alleinerziehende eines der Hauptgründe, warum die psychische und körperliche Gesundheit deutlich leiden kann.

 

Es wird viel über Politik gesprochen. Die Gesundheit steht mir zu sehr im Hintergrund. Denn ohne eine gesunde Mutter bzw. Vater läuft gar nichts. Es ist die Basis von allem.

Ich biete Hilfe zur Selbsthilfe an. Alleinerziehenden Eltern brauchen Selbstvertrauen, Mut und Vorbilder. Ich nutze therapeutische Tools und verwende sie deutlich vereinfacht in der digitalen Welt. Wir brauchen Vorbilder und Strategien, die uns helfen den Alltag zu bewältigen.

Natürlich gibt es jedoch einen Punkt, da hilft kein gutes Zureden mehr. Da müssen dringend politische Maßnahmen greifen.

 

Du bist selbst alleinerziehend: Wo liegen für Dich die größten Herausforderungen? 

 

 

Der größte Stress liegt in meinem Gedanken, wenn ich mich frage, ob meine Kinder mit der getrennten Eltern einen guten Weg ins Leben finden.

 

Anfangs war ich sehr verunsichert. Mittlerweile weiß ich, dass das durchaus gut möglich ist. Entscheidend ist nicht unbedingt die Trennung, sondern wie die Eltern nach der Trennung miteinander umgehen. Und das ist für viele eine große Herausforderung, wenn Trauer, Wut, Kränkung und Liebeskummer die beherrschenden Gefühle sind.

Im Alltag stressen mich die Hausaufgaben der Kinder. Nachdem ich aus der Praxis bin, hole ich sie am späten Nachmittag aus der Schule und dann müssen wir oft bis 18:00 Uhr noch daran sitzen. Bis dahin habe ich noch keinen Handschlag zu Hause gemacht. Vieles im Alltag ist Improvisation!

 

 

Welche Tipps gibst Du Deinen Klienten? 

 

 

Es gibt zwei Gruppen von Klienten. Die einen haben sich gerade getrennt und suchen eine erste Orientierung in ihrem Chaos. Angst, Trauer, Ohnmacht und Schuldgefühle sind Thema Nummer 1. Die anderen haben schon länger Konflikte mit dem Vater bzw. der Mutter. An dieser Stelle gibt es vieles, was man richtig und aber auch falsch machen kann.

Manche führen die Verhaltensmuster aus der Beziehung einfach weiter und verschlimmern oft auch unbewusst die Situation für die Kinder.

Der wichtigste Tipp ist es, die Idee aufzugeben, den ehemaligen Partner jetzt noch verändern zu können. Der zweitwichtigste Tipp ist es, den Mut zu haben, sich mit seinen emotionalen Verletzungen an einem sicheren (professionellen) Ort auseinanderzusetzen. Ohne diesen Schritt ist der Wechsel von der Paarebene zur Elternebene nicht möglich.

 

 

Wie können andere Menschen Alleinerziehende besser unterstützen?

 

Nicht sagen: Wie kann ich dir helfen, sondern konkret etwas tun. Nach dem Besuch den Müll mit runter nehmen. Das Kind aus der Schule abholen. Zum Abendbrot einladen. Anrufen und fragen, wie der heutige Tag war. Und falls es keine Reaktion gibt, sich nicht abschrecken lassen. Dran bleiben. Viele haben Ängste Hilfe und liebe Gesten anzunehmen.

 

Was wünscht Du Dir für Alleinerziehende in Deutschland?

Es ist längst überfällig, dass es eine rechtliche und steuerliche Gleichstellung gibt. Familien müssen finanziell gefördert werden. Nicht die Ehe.

 

Familie ist da, wo Kinder sind und Liebe ist. Egal ob zu 2., zu 3., zu 4. usw.: Der Wert eines Menschen darf niemals vom Beziehungsstatus abhängen. Aktuell ist es aber noch so und das macht mich rasend.

 

 

 

Außerdem ist es dringend notwendig, Alleinerziehenden psychosoziale Unterstützung mit Hilfe der Digitalisierung zugänglicher zu machen. Wer hat schon Zeit am Dienstagmorgen sich beraten zu lassen, wenn es darum geht den Arbeitsplatz zu erhalten?

 

Vielen lieben Dank für Deine Antworten, Alexandra.

Bildquelle: Manuel Geiger.

 

Eine Sammlung vieler alleinerziehender Mütter, die bereits zu Gast zum Interview bei mir waren, findest Du hier.

 

Besonders an Herz legen kann ich auch das Interview von Janina, die als zweifach-alleinerziehende Mutter täglich viel leistet.

 

In den kommenden Wochen dreht sich bei den Elternfragen alles rund um das Thema „Sommer in Berlin“: Seid gespannt, ich bin es auch.

 

Wenn Ihr Wünsche für Themen in den Elternfragen habt, könnt Ihr Euch natürlich immer an fruehesvogerl@gmail.com  wenden.

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