Familienrollen, Kultur mit Kind

„Andere Mütter sind in anderen Dingen gut. Mein Weg ist nur mein Weg, kein Standard für alle.“ / Familienrollen-Interview mit Berlinmittemom

Immer am Freitag gibt es die Familienrollen. Heute erzählt Anna (Berlinmittemom), warum sie nicht glaubt, dass es Mommy Wars wirklich gibt, was ihr bei ihrem Geburtstrauma geholfen hat, wie sie die Erinnerung an einen geliebten Menschen lebendig hält und was sie sich für ihre Kinder wünscht. 

Du bloggst auf berlinmittemom mit viel Gefühl. Ein besonderes Anliegen scheint Dir immer, dass sich Mütter nicht gegenseitig fertigmachen: Ein guter, und wie ich finde sehr wichtiger, Ansatz: Warum glaubst Du kommen sogenannte Mommy Wars überhaupt zu Stande?

Ich glaube, es gibt sie nicht. Es ist ein Klischee, das vor allem eine Extremsituation beschreibt, die entstehen kann, wenn Eltern mit verschiedenen oder sogar gegensätzlichen Konzepten aufeinander treffen. Kann, nicht muss. Ich kann Klischees nicht leiden, selbst wenn sie immer auch ein Fünkchen Wahrheit enthalten. Sie sind gänzlich ungeeignet für den Versuch einer Erklärung von komplexen Zusammenhängen – dafür taugen sie einfach nie was. Genauso verhält es sich mit so einem Begriff wie „Mommy Wars“.

Ich glaube, wir sind als Mütter genauso individuell, wie wir es schon vor der Geburt unserer Kinder waren – warum auch nicht? Was habe ich denn plötzlich mit tausenden anderen Frauen gemeinsam, außer der Tatsache, dass wir Frauen sind und ein Kind groß ziehen? Zunächst mal: nichts. Diese Versuche, Mütterstandards aufzusetzen und uns Frauen daran abzugleichen, ist verrückt. Genau mit diesen Schablonen wird dann aber operiert, wenn es darum geht, künstliche Fronten auszumachen. Aha, das sind Mommy Wars, da stehen die Tragemamis den Kinderwagenmamis als feindliche Linie gegenüber oder die Langzeitstillenden den Fläschchengeberinnen undsoweiter.

So ist das wirkliche Leben aber nicht. Im echten Leben sitze ich als Kaiserschnittmama mit einer Mutter, die zu Hause geboren hat, ganz entspannt nach dem Elternabend bei nem Bier zusammen und diese Aspekte sind kein Thema. Warum auch? Sie unterscheiden uns vielleicht in unseren Erfahrungen, aber sie definieren uns doch nicht.

Ich glaube, Mommy Wars sind ein künstlich hoch gepushtes Klischee, gegen das wir uns wehren und wovor wir uns hüten sollten, wenn unsere Individualität und die Deutungshoheit über unser Muttersein uns etwas bedeuten. Viel wichtiger als die individuellen Unterschiede sollte die gegenseitige Unterstützung sein, Mütter-Netzwerke, Verständnis für Herausforderungen, die wir alle kennen – nicht die Profilierung der eigenen Entscheidungen auf Kosten anderer. Das versuche ich immer wieder zu zeigen.

Du hast selbst eine Interviewreihe mit dem Titel „Die gute Mutter“ ins Leben gerufen: Welche Kernkompetenzen beim Ausleben der Mutterrolle findest Du besonders wichtig?

Es gibt, meiner Meinung nach, keine Kernkompetenz, die die Voraussetzung zur Mutterschaft bildet oder die man sich bemühen sollte, zu erreichen. Wir Mütter sind verschieden und auch unsere Stärken und Schwächen sind unterschiedlich – das ist normal und okay. Ich finde nicht, dass wir uns einen Gefallen tun, wenn wir ausgerechnet bei so etwas Zentralem (und durchaus Lebensveränderndem) wie unserer individuellen Mutterschaft versuchen würden, irgend einen Standard zu erreichen.

Für mich persönlich ist es so: ich versuche, meinen Kindern eine gute Mutter zu sein, indem ich präsent bin. Nicht unbedingt nur im physischen Sinn durch schiere Anwesenheit (wenn ich schlafend in der Ecke liege, bin ich ja auch DA aber nicht präsent), sondern vor allem, indem ich meine Aufmerksamkeit auf sie richte, wenn wir zusammen sind. Ich höre ihnen zu, ich interessiere mich für ihr Leben, ich beantworte ihre Fragen. Natürlich liebe ich sie und sage ihnen das, und ich unterstütze sie, so gut es mir eben gelingt, in ihrem individuellen Entwicklungsprozess. Ich versuche, dass alles mit Humor zu tun, uns alle nicht zu ernst zu nehmen und ihnen bei allen Regeln, die es im Zusammenleben der Familie natürlich gibt, keine Kandare anzulegen. Ich glaube, ich bin gut darin, sie zu s e h e n, wie sie sind. Nicht zu viel in sie hineinzulegen, sie nicht mit Erwartungen zu überfrachten, sie aber auch individuell zu fordern, so verschieden wie sie sind.

Andere Mütter sind in anderen Dingen gut. Mein Weg ist nur mein Weg, kein Standard für alle

Du schreibst häufiger auch über Deine Ursprungsfamilie. Einer Deiner Texte, die mich am meisten berührt hat,  ist der über Deine verstorbene Mutter aus dem sehr viel Liebe spricht. (Besonders schön der aktuelle Text.)Wie hältst Du diese Erinnerungen für Deine Kinder lebendig?

Das passiert ganz von selbst. Sie ist in meinem Denken und Fühlen sehr präsent und wir sprechen viel über sie. Dabei ist nichts Künstliches oder Erzwungenes so á la „wir machen jetzt eine Kerze an und denken an Oma“ – obwohl wir tatsächlich oft Kerzen anmachen, auch für sie. Sie ist einfach nach wie vor Teil unserer Familiengeschichte, ein wichtiger, großer, warmer Teil, der selbstverständlich seinen Platz in unserem Leben hat. Die Kinder fangen oft von ihr an oder ich oder mein Mann oder sonst jemand aus der großen Herkunftsfamilie. Dadurch ist die Erinnerung an sie eigentlich immer bei uns – mal mehr, mal weniger. Aber sie muss nicht lebendig gehalten werden. Sie ist es.

Du hast darüber geschrieben, dass Du mit Kaiserschnitt entbunden hast, und vor allem die Geburt Deiner ersten Tochter nahezu traumatisch war. Wie bist Du damit umgegangen?

Ich habe das Trauma zunächst erfolgreich verdrängt. Wir sind außerdem 8 Wochen nach der Geburt von Bonn nach Berlin gezogen, das hat das Verdrängen leichter gemacht. Erst, als ich Jahre später schwanger mit meinem Sohn war, kam alles wieder hoch und mir wurde schmerzlich bewusst, was ich da alles seit Jahren mit mir herum schleppte an Schuldgefühlen, Ängsten und Fragezeichen. Zum Glück hatte ich einen tollen Gynäkologen, der mich an meine wunderbare Hebamme weiter schickte. Mit ihr habe ich dann in der Schwangerschaft viel vom Trauma der ersten Geburt aufgearbeitet. Die zweite Geburt verlief dann mit ihr an meiner Seite zum Glück ganz anders.

Hausgeburt, Krankenhaus, Kaiserschnitt: Wie nimmst Du die Debatte um die Geburt aus Deiner persönlichen Geschichte heraus wahr?

Für mich persönlich steht eins an erster Stelle: die Selbstbestimmung der werdenden Mutter. Jede Frau sollte entscheiden können, wie und wo sie entbinden möchte – und sie sollte dabei auf die bestmögliche Art und Weise Unterstützung erfahren. In den aktuellen Diskussionen regt mich vor allem auf, wie wenig Einsicht es diesbezüglich gibt: es ist, als hätten wir als Gesellschaft vergessen, wie wichtig und existentiell diese Situation für die unmittelbar Beteiligten ist – die Mutter und ihr Kind. Der Wunsch nach Selbstbestimmung wird marginalisiert, und es tritt deutlich zutage, dass Hebammen und Eltern, diejenigen, die für die selbstbestimmte Geburt kämpfen, kaum eine Lobby haben in unserem Land. Ein so individueller und störanfälliger Prozess wie eine Geburt wird Kostenfaktoren und Klinikroutinen unterworfen mit dem Argument, das sei sicherer (was erwiesenermaßen nicht so ist. ) und überhaupt hätten schließlich die Mehrheit der Frauen in den letzten Jahrzehnten ihre Kinder so bekommen, dann sei das auch jetzt und in  Zukunft gut genug. Was das die einzelnen Frauen physisch und seelisch gekostet hat, erscheint aber auf keiner Kostenaufstellung keiner Klinik oder Krankenkasse.

Ich hatte Glück. Nach der traumatischen und vollkommen fremdbestimmt durchchoreographierten Geburt meiner großen Tochter, traf ich hier in Berlin auf einen Gynäkologen mit ausgeprägtem Bewusstsein für all diese Zusammenhänge und durch ihn dann meine wundervolle Hebamme. Sie hat dann einen Großteil meiner Betreuung während der Schwangerschaft übernommen und mich zur Geburt begleitet. Ungeachtet dessen, wie sich der Geburtsverlauf weiter entwickelte (ein erneuter Kaiserschnitt nach Geburtsstillstand), war ich durch sie geschützt. Ich wurde gehört, ich war die „Bestimmerin“ in jeder Situation, ich musste nicht auch noch für meine Stimme kämpfen, sondern konnte mich ganz auf die Geburt konzentrieren. Ich fühlte mich gut aufgehoben, weil ich ihr vollkommen vertrauen konnte. Das ist unbezahlbar. Bei dem Gedanken, dass die heutige Politik diese Art Begleitung unter der Geburt faktisch unmöglich macht bzw. gemacht hat, könnte ich heulen. Meine zweite Geburt unter der schützenden Hand meiner geliebten Hebamme hat mich auf eine Weise geheilt. Ich weiß nicht, wie es mir gegangen wäre, hätte ich sie nicht getroffen.


Deine Schwester hat kürzlich entbunden und hat, wie ein Text verriet, auch gleich ein paar Fragen: Welche Erfahrungen aus Deinem eigenen Wochenbett konntest Du ihr mitgeben?

Ich glaube, auch wenn viele Dinge natürlich gleich sind, ist jedes Wochenbett anderes. Meine Schwester hatte einige Komplikationen durch Interventionen während der Geburt, daher war ihr Wochenbett sehr speziell. Ihre Bedürfnisse waren da andere als meine bei meinen Kindern, auch ihre Situation war eine ganz andere. Ich habe einfach versucht, für sie da zu sein, was nicht so einfach war, da wir nicht mehr in derselben Stadt leben. Wir haben viel telefoniert und ich habe versucht, meine Erfahrungen mit ihr zu teilen, ihre vielen Fragen zu beantworten und ihr ansonsten Tipps zu geben, wen sie in ihrer direkten Umgebung um Hilfe bitten kann: ihre Hebamme, eine Stillberaterin, eine Hilfe von der Krankenkasse, die sich in den ersten Wochen um sie und ihr Baby gekümmert hat, weil ihr Mann irgendwann wieder arbeiten musste.
Das Wichtigste war sicher, für sie da zu sein und sie zu ermutigen, auf ihre eigenen Bedürfnisse genauso zu achten, wie auf die ihres Babys.

Wenn sich jemand so unermüdlich für andere Frauen einsetzt, interessiert mich eine Frage vor allem sehr: Was wünscht Du Dir für Deine Töchter?

Das ist eine so einfache Frage, dennoch ist da Antwort sehr komplex, da sie so viele Ebenen berührt: gesellschaftliche, politische, sexuelle, feministische, spirituelle… Ich wünsche mir für alle meine Kinder eine friedliche Welt, eine gerechte Gesellschaft und natürlich ihr persönliches Glück. Aber für meine Töchter wünsche ich mir tatsächlich, dass sie auf ihrem Weg in ihr Leben ein gutes Konzept von ihrem individuellen Frausein entwickeln können, ohne Ängste, ohne Repressionen, mit so wenigen Einschränkungen wie möglich. Welche Rollen sie sich auch immer aussuchen (Werden sie beispielsweise Mütter sein? Wenn ja, wie werden sie das gestalten wollen?), welche Wege sie einschlagen mögen, ich hoffe, dass ich sie jetzt genügend gestärkt und ermutigt habe, um die Frauen werden zu können, die in ihnen bereits jetzt angelegt sind.

Frausein ist heutzutage nicht einfach, das war es nie, und wie es in  Zukunft sein wird, wissen wir alle noch nicht. Ich möchte meine Mädchen in eine Welt entlassen, in der sie wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit keine Nachteile erfahren, in der sie keine sexuelle Diskriminierung, Belästigung oder Anfeindungen erleben, eine Welt, in der sie nicht nur theoretisch sondern tatsächlich alle Möglichkeiten haben, ihr individuelles Potential auszuschöpfen und – sie selbst zu sein.

Vielen liebe Dank, Anna. 

Die Fotos wurden von Anna zur Verfügung gestellt. 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

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