Familienrollen, Kultur mit Kind

Hausmann:“In unserem Fall bin ich diese Pfarrfrau“ – Jürgen in den Familienrollen

Welche Väter gehen eigentlich in Elternzeit? Und wessen Chef ist dagegen? Während auf Twitter in diesen Tagen viel in meiner Timeline passiert ist, erzählt mir Jürgen seine persönliche Vereinbarkeitsgeschichte. Er betreut seine beiden Kinder Zuhause, versucht seine Frau zu unterstützen, hat Berlin zugunsten von Brandenburg verlassen und sagt eine Menge beeindruckender Dinge. Über sein Leben bloggt er auf Herr Pfarrfrau.  Was er anderen Vätern raten kann, und wie sich das Leben so anfühlt: Davon erzählt er in den Familienrollen

Du bloggst als Herr Pfarrfrau über Dein Leben: Erzähl doch mal, welcher Alltag sich hinter Deinem Pseudonym verbirgt?

Ich bin Hausmann und betreue unsere zwei Kinder, während meine Frau ihre erste eigene Pfarrstelle in Brandenburg angetreten hat. Unsere Große wird dieses Jahr fünf Jahre alt, die Kleine wird zwei und wir leben jetzt seit Anfang des Jahres in einem riesigen Pfarrhaus mit Garten, nachdem wir vorher mitten in Berlin wohnten und es uns dort eigentlich sehr gut ging, wenn man einmal von unserer 67qm-Wohnung absieht.

Hier bespaße ich jetzt die Kinder, bekoche die ganze Familie, putze das Haus und versuche meine Frau auch noch bei Ihrer Arbeit zu unterstützen, während ich nebenbei ein klein wenig versuche eine berufliche Selbständigkeit weiter zu entwickeln. Ein Fulltimejob, der aber jede Menge Spaß macht.

Bis vor Kurzem hattest Du noch einen Teilzeit-Job in Berlin. Nun wohnt Ihr in Brandenburg. Bist Hausmann und betreust Deine beiden Kinder. Wie fühlt sich die Umstellung an?

Beruflich war für mich die Umstellung gar nicht ganz so groß. Auch im letzten Jahr hatte ich schon vier Monate Elternzeit gemacht und meine berufliche Situation bestand auch nicht aus einem 40h-Bürojob, aber darauf komme ich später nochmal zu sprechen. Zwei Kinder gleichzeitig zu betreuen hingegen war vor allem in der Anfangszeit eine größere Herausforderung. Es war keine komplett neue Situation, aber an einem fremden Ort ohne Freunde, die mal eben vorbei kommen können und mit einer Frau die plötzlich auch mal 10-12h arbeiten war, den ganzen Tag die Energie und Konzentration hoch zu halten, war eine Umstellung.

Schon vorher hatte ich allergrößten Respekt für alle Alleinerziehenden da draußen, aber nach dem Umzug wurde es mir manchmal noch klarer und das, obwohl ich trotzdem in einer sehr luxuriösen Situation bin. Es gibt  immer wieder Tage an denen meine Frau mal längere Zeit da ist oder aber sie, bedingt durch häufiges Homeoffice, immer wieder mal kurz einspringen kann, falls sie gebraucht wird. Außerdem kommt auch einmal in der Woche die Oma vorbei. Diese Zeit geht dann meistens am schnellsten vorbei denn an dem Tag putze ich meistens das Pfarrhaus. Denn so ein großes Pfarrhaus, in dem wir jetzt leben, putzt sich nicht von alleine.

Außerdem hatte ich beruflich schon im letzten Jahr damit begonnen Printprodukte zu gestalten, zunächst vor allem im kirchlichen Bereich. Das fing alles ganz klein an, aber jetzt im zweiten Jahr kommt Schwung in die Sache. Die Gestaltung von Websites kam auch noch dazu und nicht nur Kirchengemeinden sind meine Kunden. Ein wenig bin ich jetzt schon immer auf der Suche nach den freien Minuten an denen ich die Aufträge bearbeiten kann. Da den Spagat zu schaffen ist schwer, aber ich habe total Lust diese Nebenbeschäftigung weiter voran zu treiben, da schon jetzt absehbar ist, dass ich nicht für immer Hausmann bleiben werde. Daher wäre es gut schon jetzt die Grundlage zu legen, auf der ich dann aufbauen kann.

Aber zurück zum Leben im Brandenburgischen: was ich vorher nie gedacht hätte ist, wie toll es ist einen Garten zu haben! Das ist nicht nur für die Kinder wundervoll, sondern auch für mich. Ich kann einfach die Tür vom Wintergarten aus öffnen und schon stehe ich mitten drin. Und da der Garten schonmal da ist, wollte ich auch ein Gemüsebeet anlegen. Vorher gab es hier keins, sondern nur Rasen, viele Blumen und viele Obststräucher. Ich ging ein bisschen naiv an diese ganze Gemüsesache ran, aber mittlerweile wächst da so einiges und ich bin schon sehr gespannt auf die erste Ernte. Auch sonst ist es hier in der Umgebung einfach traumhaft schön. Das hätte ich vorher auch nicht für möglich gehalten, dass es in Brandenburg wirklich auch landschaftlich so hinreißend sein kann. Ich selber bin in Brandenburg geboren und hatte lange Zeit ein eher tristes Bild der Landschaft. Ich bin also kein Auswärtiger, habe mich aber lange gesträubt in meine Heimatbundesland zurückzukehren. Doch nun stelle ich zu meiner Überraschung fest wie schön es hier sein kann. Auch die Stadt in der wir leben ist so viel schöner als ich es vorher vermutet hätte.

Die Schattenseite ist aber auch klar: es gibt hier einfach viel zu wenig Menschen und dadurch auch viel zu wenig Angebote. Vor allem unsere Lieblingsfreizeitbeschäftigung aus Berliner Tagen fällt hier fast komplett flach: Der Besuch von Cafés. Es gibt hier im Ort fast keins. Und das eine davon fällt vor allem durch Kinderfeindlichkeit beim Besitzer auf, obwohl es sogar eine Kinderspielecke gibt. Da gehen wir also nicht mehr hin. Zwar konnten wir mittlerweile ein wundervolles Café ausfindig machen, aber natürlich muss man dort wieder mit dem Auto hinfahren. Brandenburg und Mobilität… damit hadern wir schon sehr.

Was uns außerdem total abgeht: unsere Freund*innen. Wir sehen die meisten zwar noch immer häufig, aber noch schöner wäre es, wenn sie auch hier wohnen würden.
Andererseits: vorher traf man sich mit manchen Freund*innen immer so für 1-2h und ging danach seiner Wege. Wenn wir jetzt Besuch bekommen, dann bleibt der Besuch nicht selten 2-3 Tage. So viel Zeit hatte man vorher selten miteinander und manche Beziehungen sind dadurch sogar intensiver geworden als vorher. Auch bei unseren Kindern, vor allem bei der Großen, kann ich das gut beobachten. Plötzlich sind andere Kinder für mehrere Tage zu Besuch und die Beziehungen die sich dann zwischen unserer Großen und den anderen Kindern entwickelt sind weitaus intensiver, als das vorher immer der Fall war.

Warum habt Ihr Euch für das Modell der Kinderbetreuung zuhause entschlossen?

Der Schritt raus nach Brandenburg war bewusst gewählt. Und bei den ganzen Gedanken dazu, ob wir es wirklich wagen oder nicht, stand immer fest: wenn wir raus ziehen, dann bleiben beide Kinder zuhause. Wir haben uns also nicht einmal eine Kita hier angeschaut. In Berlin ging unsere Große in einen Kinderladen. Und obwohl wir mit den Erzieherinnen größtenteils sehr glücklich waren und es auch insgesamt nur 16 Kinder waren, kam unsere Große dort nie richtig an.

Oft mussten wir sie überreden in den Kinderladen zu gehen und nicht selten tat es uns wirklich sehr weh, sie unter viel weinen und wehklagen hinschicken zu müssen. Oft hatte ich das Gefühl, dass sie sich dort unwohl fühlt und viel zu zurückhaltend warum von den anderen Kindern gesehen zu werden. Falls ihre beste Freundin mal nicht da war, hing sie vollkommen in der Luft. Wir sahen den Umzug nach Brandenburg also auch als Chance grundlegend noch einmal etwas für sie zu ändern. Vor, aber auch nach dem Umzug war sie immer sehr glücklich, wenn sie vom Umzug sprach und betonte immer sehr, wie toll es ist nicht mehr in den Kinderladen gehen zu müssen, sondern die ganze Zeit bei Mama und Papa sein zu können.

Für die Kleine hat sich hingegen nichts geändert. Sie war auch vor dem Umzug noch zuhause und ist es weiterhin.
Dazu kommt noch, das wir große Anhänger vom Konzept des Freilernens sind und das mit unserer neuen Situation besser umsetzen konnten.

Was habt Ihr die kommenden Jahre als Familie geplant?

Zunächst ist unsere Zeit hier auf zwei Jahre begrenzt. Meine Frau ist im sogenannten Entsendungsdienst und der endet nach dieser Zeit. Anschließend kann sie sich auf freie Stellen in Berlin, aber auch Brandenburg bewerben. Das bedeutet aber auch, dass wir theoretisch hier bleiben könnten.

Wie genau es für uns weiter geht ist aber noch nicht klar. Es vergeht kaum eine Woche in der wir nicht darüber nachdenken und das Für und Wider abwägen. Für unsere Große würde nächstes Jahr die Schule anstehen (falls wir sie nicht noch ein Jahr zurückstellen, was wir uns zwar vorstellen können, aber dann andere „Probleme“ mit sich bringt).

Dieser „Meilenstein Einschulung“ ist sehr zentral bei all unseren Überlegungen, wie es weitergehen soll. Die Schulen hier, auf die wir uns vorstellen können unsere Große zu geben, sind rar gesät. Und auf dem Lande kommt dann ja immer auch das Problem der Mobilität hinzu: Es ist alles sehr kompliziert. Am Liebsten wäre mir ja unser Pfarrhaus einfach nach Berlin zu verpflanzen, zu all unseren wundervollen Freund*innen, denn die sind es eigentlich, die wir am allermeisten vermissen. Wenn die alle hierher ziehen würden, dann würden wir bleiben.

Als Mann, der die Kinder zuhause betreut, bildet Du immer noch die Ausnahme: Begegnest Du vielen Vorurteilen, was motiviert Dich und was würdest Du anderen Männern raten?

Vor allem in der Anfangszeit hier, aber auch in der Vorbereitung auf den Umzug und meinen „Arbeitsplatzwechsel“ gab es schon einige irritierte Nachfragen, vor allem von den Leuten hier vor Ort, die nicht so recht verstanden haben, dass ich wirklich zuhause bin und rund um die Uhr auf unsere beiden Kinder aufpasse.

Freund*innen fragen natürlich immer gerne nach, wie es mir denn zuhause ergeht, aber ich glaube, dass die Skepsis, die bei einigen vorhanden war, mittlerweile gewichen ist und von unseren Freund*innen unser Model als „läuft gut“ angesehen wird. Dazu muss ich aber auch einfach erwähnen, dass der Wechsel von „Vorher“ auf „Jetzt“ nicht ganz so extrem war.

In Berlin hatte ich lange Zeit nur einen Job als Mitarbeiter beim Rundfunk, dort aber nur immer durchschnittlich acht Arbeitstage im Monat. Ich war also schon häufiger zuhause und nie ein 40h-Arbeit-Papa. Auch gab es während der Ausbildung meiner Frau oft längere Seminare in Wittenberg, bei denen wir geschlossen als Familie (damals noch zu dritt) hinfuhren und ich dann auf unsere Große aufpasste, während meine Frau das Predigerseminar besuchte.

Das war vor drei Jahren und daraus hat sich dann auch mein Pseudonym „Herr Pfarrfrau“ entwickelt. Der Pfarrer hat ja schließlich immer seine Pfarrfrau und Kinder zuhause, die alle immer „brav“ zum Gottesdienst gehen und sich in die Gemeinde einbringen. *hust* Und in unserem Fall bin ich diese Pfarrfrau.

Wenn es darum geht, ob ich unser Modell anderen Männern raten würde: unbedingt! Allein schon die Tatsache, dass ich in den ganzen Jahren seitdem unsere Kinder da sind, oft da war, aber vor allem auch jetzt in der Zeit, stärkt meine Beziehung zu unserem beiden Kindern enorm.

Es ist so wundervoll sie aufwachsen zu sehen und nicht nur ein Wochenendpapa zu sein. Wenn die Kinder so klein sind machen sie solche rasanten Entwicklungsschritte und die zu verpassen würde ich sehr schade finden. Diese Zeit jetzt kann man nicht mehr nachholen und ich genieße sie jeden Tag.

Was wünscht Du Dir für Deine Familie für die Zukunft?

Ein glückliches Händchen bei den Entscheidungen, die uns nächstes Jahr erwarten und vor allem viel Gesundheit.

Danke Dir für Deine Offenheit und alles Gute für die Zukunft. 

 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

Themen der letzten Wochen:
Birgit über das Leben mit dem Asperger Syndrom
Tanja über das Leben als Teenie-Mum
Previous Post Next Post

You Might Also Like