Familienrollen, Kultur mit Kind

Asperger Syndrom: „Wir schwafeln im Normalfall viel zu viel auf unsere Kinder ein!“

Birgit (bloggt aus Muttis Nähkästchen) ist Mutter von zwei Kindern: Ihr großer Sohn hat das Asperger Syndrom. Was das bedeutet, was ihrer Familie im Umgang hilft und was sie überhaupt nicht hören kann: Davon erzählt sie in den Familienrollen

Wir kamen ins Gespräch, weil eines Deiner Kinder das Asperger Syndrom hat: Kannst Du erklären, was das genau bedeutet und wie ihr das festgestellt habt? 

Das bedeutet den Bedarf an Nerven aus Stahlseil 😉 Im Ernst: Das Kind ist schon sehr früh als „anders“ aufgefallen, aber niemand konnte es so recht einordnen. Eine Kindergartenpädagogin meinte mal zu mir: „So ein Kind wie Ihres habe ich noch nie erlebt!“. Ich klopf mir heute noch auf die Schulter, dass ich damals so cool reagiert habe. Ich habe ihr einfach den Ball retour gegeben, indem ich sagte: „Sie sind die Fachfrau. Sagen Sie bitte, was zu tun ist, und ich ziehe mit Ihnen an einem Strang.“

Das hat kräftig den Wind aus den Segeln genommen, denn Sie war ebenso ratlos wie wir. Auch in der Schule ist er sofort aufgefallen. Dort wurden dann nach Rücksprache mit uns Eltern die Beratungslehrerin und die Schulpsychologie einbezogen. Aber nicht, dass du glaubst, dass dann alles klar war – es folgte eine kleine Odyssee. Die Beratungslehrerin hatte wohl schon den richtigen Riecher, die Schulspychologie hat das aber wieder widerlegt. Erst zwei Jahre später kamen wir zur richtigen Diagnose – und sind heilfroh darüber, weil dann klar war, in welche Richtung wir – die Schule und wir in der Familie – arbeiten müssen. Außerdem waren wir vor der Diagnose als Eltern immer hochverdächtig, in der Erziehung kräftig was verbockt zu haben … 🙁 Und das beste: unsere Bemühungen wirken!

Das Kind wird ab Herbst ins Gymnasium gehen. Für Asperger sind so späte Diagnosen – bei uns war das Kind 9 Jahre alt – übrigens nicht unüblich, weil sie durch ihre überdurchschnittliche Intelligenz viel überdecken können.

Du lebst mit Deiner Familie im Salzburger Land, bist berufstätig und bloggst schon recht lange: In wie weit findet das Asperger Syndrom Einklang in Euren Alltag? 

Der Autismus ist immer da. Meist merken wir wenig davon. Wenn unser Sohn aber seine autistischen Züge zeigt, dann ordentlich. Nach der Diagnose haben wir an vielen Elterntrainings teilgenommen und uns einer Elterninitiative für Kinder mit Autismus angeschlossen. Dort haben wir enorm viel gelernt, worauf wir im täglichen Miteinander achten müssen – da geht es viel um die eigene Kommunikation und eigene Emotionen.

Wir haben uns jede Menge Blabla abgewöhnt und Klarheit gelernt: wenn ich eine Ansage mache, dann kurz, klar und vor allem nur einmal. Das ist übrigens auch eine äußerst wirksame Methode für neurotypische – also „normale“ – Kinder. Wir schwafeln im Normalfall viel zu viel auf unsere Kinder ein!

Wie geht Dein Sohn mittlerweile selbst damit um? 

Unser Sohn ist, wie er ist – und das ist OK. Das versuchen wir ihm immer wieder zu vermitteln. Er muss nur die gesellschaftlichen Regeln und Feinheiten über den Intellekt lernen, damit er nicht immer aneckt und mit anderen Kindern und Erwachsenen klarkommt. Dann geht’s ihm auch besser, weil er nicht ständig Missverständnisse produziert. Andere Kinder lernen das über Beobachtung und Nachahmung, bei autistischen Kindern funktioniert das nicht. Er selbst reflektiert gar nicht darüber. Wahrscheinlich sind in seinen Augen WIR die „komischen“ Leute und er ist ganz normal.

Du lebst in einer österreichischen Kleinstadt. Ich könnte mir vorstellen, dass dort weder Selbsthilfe-Gruppen noch Treffpunkte zum Thema existieren. Wo findest Du Deine Gesprächspartner?

Zeichnung vom kleinen Sohn.

Oh doch, wir hatten Glück: gerade zur richtigen Zeit formierte sich im Nachbarort eine Elterninitiative, die über einen Verein auch Psychologinnen mit Autismus-spezifischer Ausbildung rekrutierte und Therapien anbietet. Ein Segen! Da gibt’s auch immer wieder Elterntrainings.

Gerade der Austausch mit anderen betroffenen Eltern ist enorm wichtig. Denn da merkt man, man ist nicht allein, andere stehen vor sehr ähnlichen Herausforderungen. Auch den einen oder anderen Tipp oder Trick kann man sich abschauen. Ich habe begonnen meine Erkenntnisse aus Elterntrainings, aus eigenen Erfahrungen und Errungenschaften in der Schule usw. schriftlich zusammenzufassen.

Weil ich glaube, dass auch andere Eltern davon profitieren können, stelle ich das auf meinem Blog zur Verfügung – mit sehr guter Resonanz. Hier sind alle Beiträge zum Thema Autismus gesammelt:  Da geht’s z.B. darum, wie man einen Asperger erkennt, um Tipps zum täglichen Miteinander, um Fallstricke in der Regelschule (und wie wir sie gemeistert haben) sowie um Rezensionen von Autismus-spezifischen Büchern, die ich empfehlen kann. Außerdem berichte ich über hervorragende Erfolge, die wir mit Homöopathie erreichen konnten.

Wo würdest Du Dir mehr Aufklärung wünschen? 

Ich glaube, das passiert ohnehin schon. Es gibt ja immer mehr derartige Diagnosen – über das Warum kann ich nur spekulieren.

Erklärungsbedarf gibt es hauptsächlich deshalb, weil man die Behinderung meines Sohnes nicht sieht – da hält sich auch die Nachsicht der Gesellschaft enorm in Grenzen! Was wir schon böse und augenrollende Blicke geerntet haben, frage nicht.

Aber da stehen wir mittlerweile drüber – sollen die doch glauben, dass wir ein grenzenlos unfähiges Eltern-Pack sind … Was noch zu wünschen übrig bleibt, ist die Unterstützung! Assistenten-Stellen wurden hierzulande fast gänzlich eingespart – dabei wären sie so wichtig für autistische Kinder. Die Therapie müssen wir ebenfalls aus eigener Tasche berappen – obwohl es sich um international anerkannte und erfolgreiche Methoden handelt.

Was kannst Du anderen Eltern mit auf den Weg geben, die mit einer solchen Diagnose konfrontiert werden?

Ihr seid nicht allein! Holt euch Hilfe und sprecht mit anderen Betroffenen. Ein sehr schönes Zitat hab ich mir aus meinem allerersten Elterntraining mitgenommen: „Bitte freuen Sie sich über die Andersartigkeit Ihres Kindes. Fördern Sie seine Perspektiven. Und fördern Sie seine Stärken. Vielleicht ziehen Sie gerade den nächsten wegweisenden „unvernünftigen“ Erfinder auf, der unsere Gesellschaft voranbringt.“

Was wünscht Du Dir für Deine Familie für die Zukunft?

Nerven aus Stahlseil. Und eine Gesellschaft, die andere nicht vorschnell in vorgefertigte Schubladen steckt.
Ich hab mir das auch schon mal von der Seele geschrieben: Ich bin eine Arschlochmutter! – und damit hab‘ ich scheinbar einen wunden Punkt getroffen.

Danke Dir für Deine Offenheit, liebe Birgit und alles Gute für die Zukunft. 

 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

 

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