Mutter und Tochter: Stirn an Stirn
Familienrollen

Hebamme und Mutter: „Ich entbinde die Frauen nicht einfach, ich ermutige sie, ihre Kinder selbst zu gebären“

Jeden Donnerstag erscheinen hier die Familienrollen, die eine andere Familie vorstellen. Diese Woche erzählt Jessi, alleinerziehende Mutter einer entzückenden Tochter, was ihr Beruf Hebamme und die eigene Mutterrolle miteinander zu tun haben. Außerdem berichtet sie, wie sie in der Anfangszeit als Mutter mit Einsamkeit umging, und was sie sich für Alleinerziehende manchmal wünscht. 

Jessi und OliviaIm Geburtsvorbereitungskurs erzählte uns die Hebamme, dass sie erst wirklich verstand, welche Rolle, die Frau bei der Geburt hat, als sie selbst ihr erstes Kind bekam. Wie hat sich Dein Berufsverständnis durch die Geburt Deiner kleinen Tochter verändert? 

 

Liebe Bettie, früher dachte ich immer ‚Ich kann eine gute Hebamme sein, auch ohne jemals geboren zu haben. Und natürlich kann man das. Da möchte ich kinderlosen Kolleginnen nicht zu nahe treten. Ich hab für mich jedoch gemerkt, dass es durchaus einen Unterschied macht. Ich bin emphatischer seit der Geburt meiner Tochter. Wobei, ich bin in vielen Dingen empathischer geworden. Ich weiß jetzt, wie lang eine halbe Stunde hochschwanger in der gleichen Position auf einer Liege zum CTG sein kann. Dass man dann zum Aufstehen schon mal gefühlt eine halbe Ewigkeit braucht.

 

Dann gibt es wiederum Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann bzw. bei denen ich strenger geworden bin. Weil ich eben jetzt auch weiß, was eine Geburt bedeutet. Ich arbeite an einer Klinik in einer der größten Kreißsäle. Viele der Frauen möchten entbunden werden. Die klingeln an der Kreißsaaltüre und sagen ‚Mach was!‘ Die Bereitschaft selbst etwas zu tun ist dann sehr gering. Oft wird man für den Schmerz verantwortlich gemacht. Eine Geburt ist anstrengend. Eine Geburt ist schmerzhaft. Eine Geburt ist Arbeit. Aber eine Geburt ist auch so fabelhaft. Eine sehr gute Freundin und Kollegin hat ein paar Wochen vor mir geboren. Sie meinte dann zu mir ‚Ach, ich beneide dich fast ein bisschen darum, dass du dieses Erlebnis noch vor dir hast!‘ Ich dachte natürlich, sie muss verrückt sein. Jetzt verstehe ich, was sie damals gemeint hat. In dieser Hinsicht bin ich seit Olivias Geburt strenger geworden.

 

Ich entbinde die Frauen nicht einfach, ich ermutige sie, ihre Kinder selbst zu gebären. Das ist so wichtig. Ich werde niemals das Gefühl vergessen, als ich Olivia das erste Mal hoch genommen habe. Etwas, was mir schwerer fällt, seitdem ich selbst Mama bin, ist aus dem Kreißsaal zu gehen und die Frauen kurz alleine zu lassen. Ich weiß noch genau das Gefühl, wenn meine Hebamme kurz raus gegangen ist. Aber in der Klinik muss man das leider immer wieder. Das ist mir früher leichter gefallen. Da war ich einfach nur die Hebamme. Jetzt hab ich ein Mamaherz.

 

Deine Tochter hat als Baby phasenweise schlecht geschlafen. Das Schlafverhalten ist eine der Fragen mit denen sich Mütter auch an Hebammen wenden, hat Dir Deine theoretische Ausbildung bei Deinen Fragen geholfen? 

 

Baby im TragetuchOlivia ist und war die weltschlechteste Schläferin. In der Schwangerschaft war ich bezüglich Baby, Babypflege und dem Umgang mit einem Baby sehr entspannt. Die Schwangerschaft an sich war eher sorgenvoll. Es war von Anfang an klar, dass ich alleine sein werde, wenn ich mich für das Kind entscheide. Ich hatte Angst davor, wie es sein würde mit Baby. Aber eher davor, dass das Leben ganz anders sein würde, vor der Verantwortung, vor meinem gebrochenem Herzen und nicht so sehr vor dem Alltag. Dann kam Olivia. Und anfangs war ich auch noch entspannt.

 

Sie war aber leider ein so unglückliches Baby und da kann man noch so entspannt sein, irgendwann ist man es nicht mehr. Raus gehen war irgendwann fast unmöglich, weil sie sehr schnell überreizt war. In dieser Zeit war ich sehr alleine und einsam.

 

Am meisten hat mich der Satz getroffen ‚entspannte Eltern haben entspannte Kinder‘. Der gehört wirklich verboten. Das ist so verletztend, weil man natürlich mit einem unglücklichen Baby eigentlich durchgehend ein schlechtes Gewissen hat. Und weil es nicht stimmt.

 

Als Hebamme hat mich das aber darin bestärkt, wie wichtig es ist, Eltern mit untröstlichen Kindern ernst zu nehmen. Am meisten hilft da vielleicht, wenn mein einfach da ist und ein offenes Ohr hat. Nach anderthalb Jahren bin ich dann endlich in eine Schlafambulanz mit ihr gegangen. Die meinten, ich hätte schon viel früher kommen sollen. Ich glaube, wenn man alleine ist und vielleicht auch, wenn man vom Fach ist, ist man strenger mit sich. Ich wollte und möchte nach wie vor immer alles alleine schaffen und kann nur schwer um Hilfe bitten.
Du bist alleinerziehende Mutter und arbeitest mitunter Tag und Nacht: Wie schaffst Du das?

 

JessiPuh, das mit der Vereinbarkeit ist so eine Sache. Ich lese gerne und auch oft Blogs. Immer wieder lese ich von anderen Alleinerziehenden, bei denen es so einfach klingt bzw. die auch sagen, das wäre alles gar nicht so viel schwieriger.

 

Vielleicht liegt es daran, dass ich ‚richtig‘ Alleinerziehend bin, also Olivia lebt ausschließlich bei mir und ich bin die Ernährerin der Familie. Nur wenige Alleinerziehende, die mir begegnet sind, erziehen wirklich alleine. In Bayern haben Alleinerziehende und Berufstätige Paare den gleichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Das hatte zur Folge, dass ich zwar ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hatte und aufgrund des Hebammenmangels sofort nach der Elternzeit wieder einsteigen hätte können.

 

Ich hatte aber keinen Kitaplatz und die Dame vom Jugendamt meinte, ich solle mich nicht Sorgen, ich sei Hartz4 berechtigt als Alleinerziehende. Ich habe dann ein Jahr von meinen Ersparnissen gelebt bis ich endlich einen Platz hatte und wieder arbeiten konnte. Inzwischen arbeite ich selbstständig als Beleghebamme.

 

Ich habe das Glück, dass meine Eltern nicht weit weg wohnen. Wenn ich Kreißsaal Dienst habe, dann ist Olivia bei meinen Eltern. Es ist eben ein ziemlich großer organisatorischer Aufwand. Und sobald ein Ding nicht funktioniert, muss ganz schnell umorganisiert werden. Manchmal am Ende des Monats liege ich abends im Bett und freu mich, dass alles mehr oder weniger geklappt hat und dann stell ich fest, das am nächsten Tag ja schon der nächste Monat beginnt. Ich wäre dafür, dass Alleinerziehende zwischen den Monaten ein bis zwei Tage Pause hätten vom Organisieren.
Dein Instagram-Account ist geschützt, hat man das Glück Dir folgen zu können, sieht man eine sehr liebevolle Mutter-Tochter-Beziehung. Welche Grundprinzipien sind Dir wichtig?

 

Mutter und Tochter halten sichOh, Danke für das liebe Kompliment. Die Frage finde ich gar nicht so leicht zu beantworten. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mir dazu keine Gedanken mache und alles immer so läuft.

 

Was ich am Mamasein so schwer finde, ist auf sein Bauchgefühl zu hören. Dabei ist das glaub ich das einzige wichtige und das einzig richtige. Das ist im Grunde ähnlich wie bei einer Geburt. Oder im Wochenbett.

 

Was sagt dein Bauch? Aber mir fällt es manchmal schwer, meinen Bauch überhaupt zu hören. Gerade Leute in der Ubahn oder im Supermarkt haben mich oft zweifeln lassen. Ich werde dann als zu liebevoll und zu geduldig empfunden. {Liebevoll} Grenzen setzen, war und ist für mich die größte Herausforderung am Eltern sein. Und Olivia fordert die auch ein und zeigt mir, dass Grenzen wichtig sind.

 

Ich bin so gerne Mama. Ich finde, es ist das wichtigste für ein Kind, dass es sich geliebt fühlt. Liebe kann man nie genug haben. Und dann hoffe ich, dass Olivia später ihre Kindheit als sehr glücklich empfinden wird. Auch wenn sie nicht perfekt war und wenn wir oft nicht alles hatten, was man so ‚braucht‘.
Und Geborgenheit. Kindheit muss sich für mich geborgen anfühlen. Ein sicherer Ort an dem ich so sein kann wie ich bin. Und trotzdem geliebt werde. Oder gerade deshalb.
Was wünscht Dir für die Zukunft: als Mutter Deiner Tochter und beruflich als Hebamme?

 

Olivia liegt auf KissenAls Hebamme wünsche ich mir mehr Zeit. Mehr Zeit für die Frauen und die Kinder und weniger Bürokratie. Dass die Versicherung nicht weiter steigt. Ich bin aber eher optimistisch. Ohne Hebamme geht es nicht! Und ich wünsche mir wieder mehr Frauen, die Vertrauen. In die Geburt. In die Natur. Und, die mir als Hebamme vertrauen.

 

In allererster Linie wünsche ich mir Gesundheit! Für meine Familie und mich. ich wünsche mir, dass es irgendwann mal normal ist, dass es ganz unterschiedliche Familien gibt. In Ihrem Kindergarten ist Olivia das einzige Kind, dass nur bei einem Elternteil groß wird. Bei den anderen Kindern ist das ein ganz großes Thema und sorgt für viele Fragen.

 

Ich saß neulich in der Küche und hab einen Tee getrunken, währenddessen hat Olivia ihre neue Kindergartenfreundin durch unsere Wohnung geführt und ihr alles gezeigt. Die Freundin meinte dann ganz überrascht ‚und dein Papa? Wo schläft denn dein Papa?‘ Olivia meinte daraufhin in ganz verständnislosem Ton ‚mein Papa? Ja mein Papa wohnt doch gar nicht hier!‘

 

Das hab ich mir immer gewünscht, dass es sich für sie ganz normal anfühlt, wie es ist. Olivia würde die Frage vermutlich beantworten mit ‚Eine Schwester wünsch ich mir! Und wenn’s ein Bruder wird, dann tauschen wir ihn einfach um‘.

 

Vielen lieben Dank, Jessi.

 

Alles rund um das Thema Schwangerschaft findet Ihr im Themen-Spezial.

 

Jessi hat auch einen Instagram-Account, der allerdings privat ist, aber vielleicht habt Ihr ja Glück und dürft ihr folgen.
Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.

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