Familienrollen, Kultur mit Kind

“ Wir definieren Freiheit immer über Nacktheit, dabei findet die im Kopf und nicht darauf statt.“

Eine Frau, die schonungslos von ihrem Bindegewebe erzählt, sich für Frauenrechte einsetzt, übers Mutter sein bloggt und dabei ein Kopftuch trägt: Kennt Ihr nicht? Ich bis vor Kurzem auch nicht. 

 

Menerva hat mir erzählt, warum sie sich nach Pixie-Cut und Piercings für das Kopftuch entschied, warum sie in der Öffentlichkeit stillt und was sie sich für ihre Tochter wünscht: Das alles und noch mehr in den Familienrollen

 

Gleich vorweg: Ich kenne keine einzige bloggende Frau, die ein Kopftuch trägt, was nicht heißt, dass es nicht vielleicht viele gibt. Aber erzähl mal: Was bedeutet das Kopftuch für Dich? 

 

Das Kopftuch. Das Kopftuch bedeudet mir persönlich viel weniger, als das, was man in den Medien mitbekommt.  Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo niemand das Kopftuch trug. Es wurde auch niemals darüber gesprochen.

 

Ja, ich bin zwar religiös erzogen worden, aber Kleidung war immer Privatsache. Irgendwann hat mich eine Klassenkameradin gefragt, warum Musliminnen ein Kopftuch tragen ( das war in der 7. Klasse AHS) und ich hatte keine Ahnung. Alles was ich wusste war irgendetwas mit „Damit die Männer nicht hinschauen“, aber mit so einer absurden Idee, wollte ich nichts zu tun haben.

 

Gleichzeitig wollte ich aber auch nicht, dass meine Schulkollegin denkt, ich hätte keine Ahnung. Ich ging also in die Moschee, um nachzufragen. Dort empfing mich eine konvertierte Österreicherin und meinte, es habe nichts mit den Männern zu tun, sondern du als Frau sollst einfach entscheiden dürfen, wer was von dir sieht.

 

Es heißt zwar „Kopftuch“ auf Deutsch, aber die richtige Übersetzung wäre „Verhüllung“. Der Körper der Frau ist an Wert etwas höher als der des Mannes, weil er Leben in und aus sich tragen kann, dann auch noch dieses Leben ernähren. Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter. Mütter werden dreimal mehr geehrt als Väter.

 

Aus dieser Perspektive habe ich das Ganze noch nicht gesehen gehabt und fand sie sehr interessant. Somit hatte meine Kollegin eine Antwort und ich persönlich habe wochenlang recherchiert.

 

Eines Tages trug ich dann einfach eines, ohne meine Eltern zu fragen. Meine Mutter trug noch jahrelang danach eines, aber aus anderen Beweggründen.

 

 

Meine Mama hat Jahre nach mir eines getragen und das ist nun Jahre her. Ihre Beweggründe waren andere, mein Cousin ist in ihren Armen gestorben. Danach trug sie eines. Meine Beweggründe waren die neue Perspektive, die mir offenbart wurde & Neugier.

Und hier ist es wichtig zu sagen: Es gibt die Kopftuchfrau nicht. Es gibt die Muslima nicht. Es gibt Frauen, die ein Kopftuch tragen, aber das ist das Einzige, worin sie sich ähneln. Ein greifbares Beispiel: Es gibt den blöden, berühmten Scherz, dass alle Blondinen blöd sind. Sind sie das? Nein. Gleicht eine Blondine der anderen, nur, weil sie dieselbe Haarfarbe haben? Nein. So in etwa gilt es auch für uns.

Heute trage ich das Kopftuch seit zehn Jahren. Es ist ein Teil von mir, aber sicher nicht alles. Ich bin immer noch dieselbe Person, die sich ungehemmt über ihren großen Busen aufregt, weil ich aussehe als hätte ich drei Bäuche, ich liebe die Serie „Sex and the City“ und sobald ich nach Hause komme, kommen BH und Kopftuch als erstes weg. Es muss kein entweder oder sein, das Leben ist nicht schwarz oder weiß, sondern bunt und so sind Menschen im Kopf ja auch.

 

Ich verbinde damit ein Wohlgefühl. Ich hatte vorher Rastazöpfe, Dreadlocks, Pixie, Afro, alles was man sich vorstellen kann. Ich trug auch unheimlich gerne Bikinis, Miniröcke, habe Piercings.

Irgendwann verliebte ich mich aber in die Idee, die ich oben genannt habe und dachte „Ich probier das einmal aus“. Ich habe mich damit so wohl gefühlt, dass es eben so blieb. Es ist auch eine Sache des Wohlgefühls. Mal angenommen ich hätte mich damit gar nicht wohl gefühlt, dann hätte ich es wieder abgenommen, aber das ist bei mir nicht der Fall. Ich persönlich kenne auch keine Mami mit Kopftuch, die übers Mamasein bloggt.

 

Bei meiner Bloggerkollegin einerschreitimmer hast Du einen schönen Text verfasst, dass Du innerhalb der Wohnung eine Mutter wie jede andere bist, ohne das Kopftuch: Wie häufig musst Du Dich in Deinem Beruf als Journalistin und auch in Deiner Rolle als Mutter über Dein Kopftuch definieren? 

 

Ich finde überhaupt keine Fragen nervig, immer her damit. Das Einzige was mich schon manchmal verwundert, ist wenn Fragen kommen wie „Duschst du damit?“, oder „Wieso färbst du dir die Haare, die sieht ja keiner“, oder „Warum trägt deine Tochter keines?“ Meine Tochter ist fast 18 Monate alt, wieso sollte sie ein Kopftuch tragen?

 

Das sind dann Fragen, wo ich schon fast einen beleidigenden Beigeschmack mitempfinde, weil ich sicher nicht mit einem Kopftuch dusche. Ich definiere mich sehr minimal über das Kopftuch, weil ich so viel mehr bin, als einfach nur die sichtbare Muslima.

 

Ich bin eine schreckliche Köchin, rede wie ein Wasserfall, Bauchtänzerin, total unkreativer Mensch, reisesüchtig, Leseratte…einfach so viel mehr.

 

In meiner Mutterrolle hat es auch nicht viel verloren, es ist ja etwas Sichtbares, außer, dass es mir meine Tochter manchmal in der Öffentlichkeit runterzieht.

 

Deinen Blog lese ich besonders gerne vor allem aber auch wegen Deiner unverblümten Art. Verschleierung im Alltag, aber schonungslose Offenheit zum Beispiel in der Darstellung des eigenen Bindegewebens: Erklär mal, wie geht das zusammen und was sagt zum Beispiel Deine Familie (Eltern, Gatte etc.) dazu?

 

Ich bin ja sein ca. sieben Jahren Journalistin. Meine Hauptthemen waren/sind Feminismus und Muslime in Europa. Meine Art ist generell unverblümt, aber der Blog ist echt durch Zufall entstanden. Als Schwangere wollte habe ich mich online über andere Mamablogger informiert und bin über einen Blog gestoßen, wo die Bloggerin auch andere Autoren mitschreiben lässt. „Cool“, dachte ich und schrieb ihr. Bis heute kam keine Antwort.

 

Total frustriert habe ich das meinem Ehemann damals erzählt, und er meinte „Starte doch selber einen.“ Wir haben nur über eine Sache geredet: Wir wollten beide, dass das Baby nicht mit Gesicht im Internet erscheint. Das hat den Grund, dass ich oft Hassnachrichten bekomme. Ich möchte nicht, dass meine Tochter eine Zielscheibe ist.

 

Das ist aber auch alles.

 

Bindegewebe ist etwas Natürliches, genauso wie alles am weiblichen Körper. Dieses Verhüllen wird immer als Verklemmtsein, Unerfahrenheit, Abgehobenheit definiert, das ist aber eigentlich das Gegenteil. Ich habe eine sehr offene Art meinem und generell dem menschlichen Körper gegenüber, bin aber der Meinung, dass nicht jede Victoria ihre Secrets offenbaren muss.

 

Das soll einfach jede für sich entscheiden. Mein Mann mischt sich ein meine Blogeinträge gar nicht ein, der liest sie immer danach und findet sie entweder irrekomisch, oder eben traurig, weil ich ja Frauengeschichten aus aller Welt schreibe, da sind auch unschöne Schicksale dabei. Es interessiert ihn sehr und er pusht mich, dass ich weitermache.

 

Mein Blog ist für mich mein Zuhause, da sind meine Gedanken nackt und ich weiß, dass es irgendwo eine Frau gibt, die nachts unter der Bettdecke liegt und sich das am Handy durchliest, was ich schreibe. Die denkt sich dann dabei „Mir geht es auch so“ und das weiß ich nicht weil ich so super toll bin, sondern weil ich auch diese Frau bin- die sind wir alle. Und es ist ein so schönes Gefühl, wenn man nicht alleine ist, in diesem ganz normalen Wahnsinn, deswegen gebe ich es weiter.

 

Kürzlich habe ich im Berliner Gesundbrunnencenter eine Frau gesehen, die verschleiert war, aber mit blankem Busen ihr Kind gestillt hat. Ist das ungewöhnlich oder vermische ich da zwei Dinge? 

 

Ich mache das auch so wie die Dame, die du gesehen hast. Kindesernährung geht vor alles andere. Und ich werde meine Tochter nicht dort stillen, wo andere ihr Geschäft erledigen. Ich stille immer und überall. Meine Tochter mag diese Stilltücher nicht, sie reißt sie weg.

 

Und ich würde auch kein Tuch am Gesicht haben wollen, wenn ich esse. Ich entblöß mich jetzt nicht so viel es geht, aber mein Kind wird überall gestillt. Es gibt aber andere, die es anders machen, was ich hier sage, das gilt nur für mich.

Ob Religion, Feminismus oder Einsetzen gegen den Fremdenhass: Dein Blog ist bunt. Welche Werte möchtest Du Deiner Tochter mitgeben?

 

Ob Laila eines Tages ein Kopftuch trägt oder nicht, das spielt für mich keine Rolle. Ich möchte sie so erziehen, dass sie jeden Menschen in seiner Würde anerkennt und respektiert, auch wenn das der Mensch ihr gegenüber nicht empfindet.

 

Ich möchte, dass sie eines Tages eine Frau wird, die den eigenen Körper liebt und respektiert.

 

Wir definieren Freiheit immer über Nacktheit, dabei findet die im Kopf und nicht darauf statt.

 

Ich möchte, dass sie das weiß. Sie soll die Freiheit die sie hat für Gutes im Menschen einsetzen. Wenn ich das schaffe, dann erst war ich eine gute Mutter.

 

Letzte Frage: Daueraufreger Burkini – wie stehst Du dazu?

 

Ich trage den Burkini, weil er zu meinem momentanen Lebensabschnitt passt. Zufälligerweise finde ich ihn auch beim Schwimmen fast angenehmer, als die normalen Badesachen. Die Designs finde ich mal so mal so, aber der Comfort passt- jedenfalls mir. Er sitzt und schaut aus wie ein Taucheranzug. Ich find gerade beim Schwimmen sollte jeder anziehen was er möchte, weil es eine Spaßaktion ist.

 

Vielen lieben Dank für die tollen Einblicke, Menerva. 

 

Ihr habt ein Thema, das unbedingt mal in den Familienrollen behandelt werden soll, oder habt eine Familie, über die ihr gerne reden möchtet? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.

Previous Post Next Post

You Might Also Like