Kultur mit Kind

Multiple Sklerose und Mutterschaft: „Ich weiß ganz genau, wie viel Kraft ich habe und, was ich leisten kann.“

Multiple Sklerose? Wie sie mit dieser Krankheit lebt darüber hat JuSu (Mama Schulze) ein überaus lesenswertes Buch geschrieben. In Alles wie immer, nichts wie sonst: Mein fast normales Leben mit multipler Sklerose erzählt sie, warum sie gleich nach der Diagnose schwanger wurde, wie das Leben mit drei Kindern ist und wie ihr Umfeld auf ihren offenen Umgang mit der Krankheit reagiert. In den Familienrollen beantwortet sie mir heute ein paar Fragen dazu. 

 

Kurz nach Deinem 30. Geburtstag hast Du erfahren, dass Du MS hast: Was war das Schlimmste daran?

 

Da waren eigentlich zwei Dinge, die für mich sehr schlimm waren. Zum einen die Zeit im Krankenhaus, in der man mich quasi einmal auf Links gedreht hat, um rauszufinden, was ich habe. Nach und nach wurden Horrordiagnosen ausgeschlossen: Es ist kein Hirntumor, es ist kein HIV, es ist kein ALS, usw.

 

In dieser Zeit hatte ich richtig existentielle Angst. Angst um mein Leben. Das hat mich geprägt und ist eine Erfahrung, die ich niemandem wünsche.

 

Auch, wenn ich heute daran zurückdenke, kommen mir noch die Tränen. Daher war ich dann richtiggehend froh, als ich erfuhr, dass es „nur“ Multiple Sklerose (MS) ist. Froh, da die Erkrankung zumindest nicht zum sicheren Tod führt.

 

Zum anderen war es schlimm, dass die MS so unberechenbar und unvorhersehbar ist. Bei dem einen Patienten führt sie sehr schnell zu Behinderungen, bei dem anderen geht es jahrelang gut und nach 40 Jahren ist da vielleicht nur ein leichtes Hinken. Die Symptome können von Schwindel, Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen über Inkontinenz bis zu motorischen Einschränkungen führen. Alles kann, aber nichts muss. Das ist natürlich eine Situation, mit der man sich erst einmal zurechtfinden muss.

 

Relativ zeitnah haben Dein Mann und Du sich dazu entschieden, ein Kind zu bekommen und schon drei Wochen später warst Du mit Deinem 1. Kind schwanger. Wie war das Gefühl? 
Das Gefühl war unbeschreiblich toll. Da war sofort der Gedanke: „Das hat jetzt so schnell geklappt, weil das so sein sollte. Das ist mein, das ist unser Weg. Jetzt wird alles gut!“ Eine sehr große Zuversicht, dass alles gut werden wird, machte sich in mir breit. Da waren keine Zweifel oder Verunsicherung. Ich denke, da ich so glücklich war, habe ich das auch ausgestrahlt und die meisten Reaktionen waren durchweg positiv.

 

Natürlich musste ich auch aufklären, dass MS und Schwangerschaft meistens gut verlaufen. Aber da waren wenige bzw. gar keine Zweifel aus meinem direkten Umfeld- mein Mann stand sowieso zu hundert Prozent hinter mir. Es gab wenige Zweifler, über die ich mich geärgert habe, weil sie sich gar nicht mit mir und meiner Situation auseinandergesetzt, sondern mir einfach ihre Bedenken gegen den Kopf geknallt haben. Aber ich wurde dadurch nicht unsicher in meiner Entscheidung.

 

Du schreibst in Deinem Buch von der Vereinbarkeit der Berufstätigkeit, des Mutterseins und der MS. Zu Beginn bist Du mit Deiner MS nicht so offen umgegangen (Kollegen), was bewirkte den Wechsel?
Zu Beginn war die MS bei mir nicht so präsent. Zwei Schwangerschaften und Stillzeiten kamen, ich nahm keine Medikamente und spürte die Krankheit wegen der Hormone in dieser Zeit recht wenig. Dadurch entschied ich mich auch nach dem zweiten Kind zunächst gegen Medikamente, denn es ging mir ja so gut damit. Doch sechs Monate, nachdem ich bei meiner zweiten Tochter abgestillt hatte, ging es mir zunehmend schlechter: Ich war müde und infektanfällig, Sensibilitätsstörungen breiteten sich aus.

 

Ein MRT zeigte: Die MS war sehr aktiv. Ich hatte zahlreiche neue Entzündungsherde im Hirn und Rückenmark. So viele, dass es Angst machte. Sofort entschied ich mich, mit Medikamenten dagegen anzukämpfen. Ich bekam eine ambulante Kortisontherapie im Krankenhaus, zu der ich auch meine Töchter mitnahm. Sie machten sich beide Sorgen um ihre Mama und so entschloss ich kurzerhand, ihnen alles rund um meine Therapie im Krankenhaus zu zeigen. Nach dieser Therapie begann ich mit meinem MS-Medikament. Morgens und abends werde ich seitdem durch die Einnahme erinnert, dass ich krank bin. Kurzum: Die MS gehörte plötzlich einfach stärker zu meinem Leben. Auch spezifische Nebenwirkungen meines Medikaments, die mich (zum Glück selten) in meinem Beruf einschränken können. Da ich keine Lust hatte, dies in meinem Beruf zu verheimlichen und mich bei Nebenwirkungen quasi zu verstecken, outete ich mich zeitgleich bei meinen Vorgesetzten und Arbeitskollegen.

 

Du bloggst seit Jahren als „Mama Schulze“ und hast nun ein Buch über Deine MS-Erkrankung und Deinem Umgang damit geschrieben. Bestimmt bist Du mit Deiner positiven Art vielen ein Vorbild, wie sind die Reaktionen auf Deinen Umgang damit?

98 Prozent meiner Leserinnen und Leser geben mir positives Feedback. Sie schreiben mir, wieviel Ihnen meine Geschichte hilft, selbst zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Und das freut mich einfach tierisch und rührt mich immer wieder zu Tränen. Da ist dann auch der Gedanke, dass meine MS einen guten Sinn hat. Das heißt nicht, dass ich sie nicht gerne eintauschen würde. Schöner wäre es definitiv ohne. Aber so mache ich das für mich Beste draus. Und das gibt mir Kraft.

 

Aber es gibt natürlich auch kritisches Feedback, zum Beispiel von MS-Patienten, die von der Krankheit sehr stark gezeichnet sind, innerhalb weniger Monate nicht mehr laufen können oder permanent auf fremde Hilfe angewiesen sind. Diese finden sich in meiner Geschichte nicht wieder. Und das kann ich auch verstehen.

 

Die Multiple Sklerose wird nicht umsonst die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern genannt, da sie so unterschiedlich verlaufen kann.

 

In Deinem Buch schreibst Du, dass Dir während Deiner ersten Schwangerschaft oft Leute mit Skepsis entgegen gekommen sind, wie Du Deiner Mutterrolle mit der Krankheit gewachsen sein wirst: Wie ist das heute – mit drei Kindern? 

Natürlich ist es mit 3 Kindern anstrengend. Das wäre es auch schon ohne Krankheit. Aber zum Glück muss ich dank der Einstellung meines Mannes (und auch der meinen) nie die Krankheit für den Stress verantwortlich machen. Wir verzichten nie auf Dinge wegen der Krankheit, sondern, weil es uns guttut. Das ist schwer zu erklären, daher mache ich es an einem Beispiel fest: Wir planen zum Beispiel für die Wochenenden immer nur höchstens einen Programmpunkt. Schlichtweg, weil uns mehr zu stressig ist. Dass das auch meiner Krankheit zu Gute kommt, ist doppelt toll (denn die MS reagiert negativ auf Stress).

Manchmal gibt es aber natürlich auch so Situationen, in denen ich bei Bekannten oder Freunden darauf hinweisen muss, dass ich oder wir Aktivität xyz nicht mitmachen, weil mir das auch aufgrund der MS zu stressig ist. Denn hin und wieder vergisst mein Umfeld, dass ich ja auch noch krank bin. Aber ich nehme ihnen das nicht übel. Ich weiß schließlich nicht, wie ich mich verhalten würde, wäre ich „auf der anderen Seite“. Das kommt eigentlich viel öfter vor, als Skepsis in Bezug auf meine Mutterrolle: Da man mir die Krankheit nicht ansieht, wird sie oft vergessen.

 

Welchen Ratschlag würdest Du Dir selbst geben, könntest Du Dich selbst mit 30 Jahren kurz nach der MS-Diagnose besuchen?

 

Ich würde mir den Ratschlag geben, mir selbst zu vertrauen.

Ich weiß ganz genau, wie viel Kraft ich habe und, was ich leisten kann. Ich weiß, wann es zu viel wird und, wann noch mehr geht. Heute habe ich die Gelassenheit, diesem Gefühl zu vertrauen, denn ich habe nicht mehr das Gefühl, dabei etwas zu verpassen: Ich kann Termine canceln, weil ich weiß, dass ich vielleicht beim nächsten Mal genug Kraft, Zeit und Muße haben werde.

 

Denn an 1. Stelle steht für mich immer meine Familie. Wichtig ist, dass es uns zusammen gut geht. Daran messe ich mich. Nicht daran, auf wie vielen „Hochzeiten ich tanze“.

 

 

Was wünscht Du Dir für die Zukunft?

 

Ich wünsche mir für die Zukunft Gesundheit für meinen Mann und meine Kinder. Denn das wäre für mich das Schlimmste überhaupt, wenn es einem von ihnen schlecht ginge.

 

Vielen lieben Dank für Deine ehrlichen Antworten, JuSu.

Die Fotocredits liegen bei Kathrin Schander.

 

Auch Beate hat mir bereits vom Leben mit chronischen Krankheiten berichtet: Hier findet Ihr das Interview, wo sie von ihrer Diabetes, Hashimoto und Multipler Sklerose berichtet.

 

Wenn Ihr eine Familienkonstellation habt über die Ihr gerne mal in den Familienrollen mit mir reden wollt, oder ein Thema habt, das Euch interessiert, dann schreibt mir an fruehesvogerl@gmail.com.

Previous Post Next Post

You Might Also Like