Familienrollen

Plötzlich lesbisch: Mutter von zwei Kindern im Familienrollen-Interview

In den Familienrollen erzählt Stefanie, wie ihre Familie reagiert hat, als sie sich plötzlich in eine Frau verliebt hat und welche Konsequenzen sich für sie daraus ergeben. Außerdem: Aus welcher unerwarteten Ecke sie mit Vorurteilen zu kämpfen hat.

Auf Twitter bin ich auf Dich gestoßen, als Du vor einigen Wochen geschrieben hast, dass Du Dich immer für Homosexuelle eingesetzt hast, ohne zu ahnen, dass Du mal selbst betroffen sein könntest.  Du hast eine Familie und Dich in eine Frau verliebt: Wie gehst Du damit um? 

Im Nachhinein betrachtet gab es schon früher immer wieder mal Anzeichen. Ich war schon hin und wieder verliebt in eine Frau, war aber der Ansicht, dieser seltsame Faszination läge eine psychische Besonderheit meinerseits zugrunde. Ich nannte es scherzhaft „Freundschafts- oder Psychomacke“.

Meine aktuellen Gefühle für die Frau, die mir unabsichtlich die Augen geöffnet hat, gaben mir sehr viel zu denken. Sie kamen einher mit einer sich fast unbemerkt einschleichenden Ehekrise.  Es dauerte ein gutes Jahr mit vielen Zweifeln, bis ich mich zunächst meinem Mann gegenüber und kurze Zeit später bei ihr, meiner besten Freundin, öffnete.

Ich begriff mich zuerst als bisexuell. Momentan bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht doch lesbisch bin. Fakt ist, dass ich nach all den neuen Erfahrungen der letzten Zeit vieles für möglich halte. Auch, dass ich mich irgendwann eventuell mal wieder in einen Mann verlieben könnte.

Laut Definition bin ich somit bisexuell. Seit ziemlich langer Zeit ist mir jedoch kein Mann über den Weg gelaufen, mit dem ich mir mehr als eine freundschaftliche Beziehung vorstellen könnte.
Das Schubladendenken fällt mir daher schwer, zumal ich es für überflüssig halte. Allerdings sind mir besonders aus homosexuellen Kreisen viele Menschen mit Vorurteilen, Misstrauen und Ablehnung begegnet. Das hätte ich von einer Minderheit, die selbst mit Diskriminierung zu kämpfen hat, nicht erwartet.

Die Frau ist heterosexuell und erwidert Deine Liebe nicht, aber Du ziehst die Konsequenzen aus Deinen Gefühlen. Wie hat Dein Umfeld drauf reagiert? 

Mein Mann nahm mein Outing als bisexuell zunächst recht gelassen.Als dann aber mein Bedürfnis, mit einer Frau zusammen zu sein, für uns beide spürbar stärker wurde, zog eigentlich zunächst er als Kopfmensch die Notbremse. Wir einigten uns dann darauf, uns zu trennen.

Meine Freundin, der ich meine Liebe gestanden hatte, war nicht überrascht. Auf mein Outing hin erwiderte sie nur, sie wisse schon seit einem Jahr, dass ich sie sehr lieben würde, und sie fände es gut, dass ich jetzt endlich mit der Sprache herauskäme. Wir sind immer noch sehr eng befreundet. Es ist nicht leicht für mich, mit der nicht erwiderten Liebe umzugehen. Aber sie als Freundin zu verlieren wäre ein riesiger Schmerz für mich. Wir reden sehr offen auch über intime Dinge und ich achte darauf, nicht versehentlich Grenzen zu überschreiten.

Meine Familie hat mit meiner Orientierung zu kämpfen. Besonders meine Mutter braucht wohl noch einige Zeit, um das zu verarbeiten. Gelegentlich bricht sich ihre Traurigkeit Bahn und sie macht mir Vorwürfe. Sie hätte sich gewünscht, ich hätte meine Neigung früher erkannt, vor der Familiengründung. Und sie versteht nicht, warum ich diese Form der Sexualität (es ist aus meiner Sicht viel mehr als das) nicht unterdrücke, sondern „ausleben muss“.

Ich habe einige Freunde, die zwar überrascht sind und denen es leid tut, welcher Schmerz und welche Veränderungen damit verbunden sind. Sie sind allesamt sehr offen, sprechen mit mir oder auch mit meinem Mann darüber und unterstützen uns.

Der Weg vom inneren Outing bis zur Konsequenz der Trennung war schmerzhaft und holprig.
Zunächst wollte ich wohl nicht wahrhaben, was ich innerlich schon wusste: es werden riesige, grundlegende Veränderungen stattfinden müssen.
Ich hatte zwei Nervenzusammenbrüche innerhalb einer Woche und ging letzten Endes aufgrund von Selbstmordgedanken zum Arzt. Der wies mich aufgrund einer depressiven Episode und Anpassungsstörung in eine psychosomatische Rehaklinik ein, in der ich sieben Wochen lang behandelt wurde. Während dieser Zeit konnte ich mich sortieren, einiges aufarbeiten, erste Erfahrungen mit Outings machen. Dieser Aufenthalt hat mir das Leben gleich in mehrfacher Hinsicht gerettet, davon bin ich überzeugt.
Als ich wieder nach Hause kam, erfolgte dann bald die einvernehmliche Trennung. Das alles so zu akzeptieren war die schwierigste Aufgabe, und daran arbeite ich phasenweise noch immer.

 Was erzählst Du Deinen Kindern und wie gehen diese mit der veränderten Situation um? 

Meine Kinder sind 4 und 1,5 Jahre alt. Viel erklären kann ich ihnen da noch nicht. Ich mache aber kein Tabuthema daraus. Meine Hoffnung ist, dass sie ganz selbstverständlich damit aufwachsen werden.

Wie wird sich Euer Alltag in Zukunft ändern?

Die Kinder werden bei meinem Mann leben. Ich bin ich chronisch gesundheitlich angeschlagen und er hat das stärkere soziale Netz. Zudem bleiben sie dann in ihrem gewohnten Umfeld, können im Haus wohnen, in ihre KiTa gehen. Unser Plan war ursprünglich, dass ich mir im gleichen Dorf eine Wohnung suche, die Kinder auf diese Weise fast täglich sehen und ihren Vater unterstützen kann. Das mit der Wohnung hat nicht geklappt; ich werde nun doch etwa 20 Minuten Fahrtzeit haben.
Wir stellen es uns so vor, dass ich die Kinder jeden Nachmittag von der Kita abhole und sie betreue, bis mein Mann Feierabend hat und eventuelle Besorgungen erledigt hat. Auch werde ich der Babysitter der ersten Wahl sein, wenn er mal etwas vor hat. Wir möchten auch kleine Rituale einführen, zum Beispiel einmal pro Woche gemeinsam Essen.

Es ist in dieser Situation die optimale Lösung. Das zu akzeptieren fällt mir trotzdem schwer.
Mich von meinen Kindern, die doch noch so klein sind, schon so weit zu lösen, zerreißt mich innerlich. Ich habe Ängste, dass ich nach der Trennung weniger zu ihnen gehören werde. Dass sie sich von mir nicht geliebt fühlen, mich eines Tages für diese Entscheidung verachten werden. Auch von Außenstehenden, Familienmitgliedern wie Fremden, werde ich teilweise verurteilt. Das tut mir sehr weh und ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass ich diese Entscheidung nicht alleine getroffen habe und dass sie im Sinne der Kinder fiel.

Was wünscht Du Dir, für Dich selbst, und für Deine Familie in Zukunft?

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass es mir gelingt, sowohl das Verhältnis zu meinen Kindern stabil und eng zu gestalten als auch mein Leben neu aufzubauen. Ich wünsche mir ein freundschaftliches, unbelastetes Verhältnis zu meinem Noch- Ehemann und seiner Familie. Und ich wünsche uns beiden, dass wir mit jeweils neuen Partnerinnen glücklich werden, mit denen auch die Kinder gut auskommen.
Das sind eine Menge wichtige Wünsche. Ich schätze, dafür muss ich noch eine ganze Weile in den Himmel schauen und auf Sternschnuppen warten. Und natürlich werde ich aktiv alles dafür tun, was in meiner Macht liegt. Am Anfang steht die Akzeptanz. Vielleicht ist sie der schwierigste Schritt.

Danke für die Antworten und die Bilder, Stefanie. 

Nächste Woche in den Familienrollen: Viktoria berichtet aus ihrem Alltag mit fünf Kindern. 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mal an fruehesvogerl@gmail.com. 

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