Geteilte Elternzeit war für Anna und Christoph selbstverständlich: Wie ihr Umfeld drauf reagiert hat, welche Vorurteile wahr sind und ein bisschen etwas über Annas Heimat Armenien: Das haben sie in den wöchentlichen Familienrollen erzählt.
Seit einem halben Jahr seid Ihr Eltern von Louisa, vorneweg: Was hat Euch am Mutter/Vater sein überrascht?
Anna: Am meisten hat mich überrascht, mit wie wenig Schlaf ich auskommen kann. Man hört ja ständig von anderen Eltern, wie müde man die ersten Monate ist. Trotzdem hatte ich in der Schwangerschaft keine Vorstellung davon, wie heftig es wirklich werden würde. Außerdem habe ich den Hormoncocktail in der Wochenbettzeit unterschätzt. Puh, mich hat alles mitgenommen.
Christoph: Ich habe versucht, möglichst offen an das Vatersein heranzugehen und mich auch von den Erwartungen anderer an uns nicht unter Druck setzen zu lassen. Überraschend fand ich, dass trotz all der Ratgeberliteratur, sei es gedruckt oder im Netz, das eigene Gefühl einem doch meist den richtigen Weg weist.
Ihr habt Euch die Elternzeit geteilt: War von Anfang an klar, wer wie lange für das Kind da sein wird?
A: Die genaue Anzahl von Monaten hatten wir bis kurz vor der Geburt unserer Tochter nicht wirklich ausgemacht. Nur, dass wir uns die Elternzeit mindestens 50/50 teilen würden. Irgendwann einigten wir uns sogar darauf, dass Christoph länger Elternzeit nimmt als ich, weil ich einfach gerne früh wieder in den Job wollte. Auch finanzielle Fragen haben eine Rolle gespielt. Uns war klar, dass wir ein bisschen etwas an Einbußen haben würden, und haben uns einfach ausgerechnet, mit wie viel wir auskommen müssten. Die Reaktion im Umfeld war überwiegend positiv.
Lustig war, dass Christoph gleich das meiste Lob abbekam, weil er das „mitmacht“. Bei einer Frau ist die längere Elternzeit eher selbstverständlich. Meine Eltern haben anfangs etwas skeptisch reagiert, weil sie Angst hatten, das Baby würde unter Trennungsschmerz leiden, wenn nach fünf Monaten der Papa den Großteil der Betreuung übernimmt.
Vielleicht waren sie auch unsicher, ob Christoph das schafft.
Aber hey, ich musste es ja auch erst lernen. Keiner Frau wird die Babypflege in die Wiege gelegt. Learning by doing heißt es für alle Eltern.
C: Wir haben über die Aufteilung gesprochen und sind schnell zu unserem Modell gekommen. Anna hatte ja noch vor der Geburt den Job gewechselt und der Drang wieder an die Arbeit zu gehen war groß. Gleichzeitig fand ich den Gedanken, mich einige Monate Vollzeit um unsere Tochter zu kümmern und viel Zeit mit ihr zu verbringen sehr reizvoll. Langwierige Diskussionen und Kompromisse waren da gar nicht nötig. Um die Meinung anderer und traditionelle Rollenverteilungen habe ich mir zunächst mal keine Gedanken gemacht – ich war damit glücklich und meine Frau auch, damit war das Thema durch.
Wie habt Ihr Euch die Elternzeit aufgeteilt und wie hat es letztlich funktioniert?
A: Ich hatte nach der Geburt die obligatorischen zwei Monate Mutterschutz und dann nochmal drei Monate volle Elternzeit. Insgesamt war ich also fünf Monate mit Kind zu Hause. Danach begann ich drei Monate Elternteilzeit mit 30h/Woche. Die geht jetzt noch bis Ende Oktober. Danach arbeite ich wieder regulär 40h/Woche.
Ich bin Redakteurin bei BuzzFeed Deutschland. Mein Arbeitgeber reagierte ganz wunderbar auf meine Pläne. Mein Chef sagte direkt, dass er mich in allem unterstützt und dass die Familie vor geht. Er hat mir viel Flexibilität gelassen.
Es ist übrigens auch absolut kein Problem, dass ich jeden Tag auf der Arbeit abpumpe. Das war immer selbstverständlich, und alle Kollegen gehen auch sehr locker damit um. Wir scherzen auch oft. Wenn ich mich in meine Abpumppause verabschiede, wünschen sie mir „Viel Erfolg gut Milch!“
C: Ich habe den größeren Teil der Elternzeit übernommen. Das ist natürlich noch ungewöhnlicher, war aber ebenso unbeeinflusst von Ansichten anderer. Persönlich fiel mir die Entscheidung nicht ganz so leicht wie die, überhaupt Elternzeit zu nehmen. Ich arbeite als Historiker in einem Berliner Museum und wir waren bzw. sind noch immer dabei, unsere Dauerausstellung stark zu überarbeiten. Zum einen war schwer, dem Museum in einem solchen Umbruch einen erfahrenen Mitarbeiter zu entziehen. Zu anderen war diese Phase unheimlich spannend und ich hatte die Möglichkeit sehr frei zu gestalten. Diese Chancen sind für Historiker rar gesät, was einen Abschied auf Zeit nicht leicht machte. Und zuletzt habe ich ein tolles Team verlassen, mit dem die Arbeit viel Spaß gemacht hat.
Gleichzeitig hat man natürlich den Gedanken, dass da ein Kind unterwegs ist, mit dem man einige ganz intensive Monate verbringen kann und es aufwachsen sieht. Die Entscheidung war dann nicht leicht, aber trotzdem sehr klar: ich will Zeit mit meiner Tochter verbringen.
Für unseren Direktor war meine Wahl dann, auf Grund des laufenden Umbruchs, natürlich auch nicht einfach. Trotzdem war die Reaktion sehr verständnisvoll und mir wurden keine Steine in den Weg gelegt. Dafür bin ich sehr dankbar!
Aber ein Vater kann das Kind doch nicht stillen und für eine Mutter muss es doch total schwer sein, so früh vom Kind getrennt zu sein: Welchen Vorurteilen seid Ihr aufgesessen, als Anna wieder arbeiten gegangen seid und was war völliger Quatsch und was beinhaltete ein Körnchen Wahrheit?
A: An unserem Beispiel hat man gemerkt, dass man nicht immer alles 100% planen kann. Ich konnte zum Beispiel nicht voll stillen. Wir haben viel versucht, aber die Milch hat einfach nicht gereicht, um unsere Tochter satt zu bekommen und zuzunehmen. Ab ihrer 2. Lebenswoche füttern wir sie zu. Das hat sich für den Wiedereinstieg und auch für unsere Elternschaft als praktisch erwiesen. Die vergleichsweise frühe Trennung war für mich anfangs tatsächlich schwerer als erwartet. Aber nach ein paar Tagen lernte ich, loszulassen. Ich vertraue Christoph zu 100%, und die beiden sind einfach ein tolles Team.
C: Was das getrennt sein betrifft: da ist glaube ich wirklich etwas Wahrheit dran. Mir fällt es nach knapp zwei Monaten Elternzeit schon schwer, unser Kind bei Mama zu lassen und mir Freizeit zu gönnen. Anna hat die Kleine neun Monate im Bauch getragen, da ist die Bindung ja noch viel enger – ganz einfach war das bestimmt nicht. Schön fand ich das Thema Windeln wechseln. Ich bin da sehr unbedarft rangegangen und habe einfach losgelegt, schon auf der Wochenbettstation im Krankenhaus. Vor der Geburt habe ich mich an ein Väter-wechseln-Windeln-und-würgen Video auf YouTube erinnert und war entsprechend gespannt. Aber auch nach Milch und Beikost muss ich sagen: halb so wild. Ich glaube, wenn man schon lustlos und/oder angsterfüllt an die Sache rangeht, dann landet man auch in so einem Video.
Anna, Du lebst heute in Berlin, ursprünglich kommst Du kommst aus Armenien und wie in einem Artikel zu lesen war, musste sich Dein Partner bei einem Besuch in Armenien erst mal „beweisen“: Welche Rollenbilder wollt Ihr Euren Kindern vermitteln?
A: Armenien hat eine relativ konservative Kultur. Die Geschlechterrollen sind noch sehr traditionell, nur langsam lässt sich ein Wandel beobachten. Meine Familie war hingegen schon immer liberaler. Ich möchte für mein Kind gern das Beste aus beiden Gesellschaften vermitteln.
Den Zusammenhalt und den Wert der Familie, wie er in Armenien sehr wichtig ist – und die Freiheit des Einzelnen, die Toleranz gegenüber anderen Lebensmodellen und die absolute Gleichberechtigung der Geschlechter, die zumindest theoretisch in Deutschland herrscht.
C: Wenn ich mich an den Tag so erinnere, dann habe ich gar nicht das Gefühl, mich „bewiesen“ zu haben. Vielleicht verkläre ich das aber auch. Unser Gastgeber war einfach stolz auf seinen Selbstgebrannten und freute sich, dass er mir schmeckt. Ich trank, er schenkte nach. Zum Schluss füllte er ein 5-Liter Einmachglas, das wir mit nach Hause nehmen sollten. Nachdem wir erklärt hatten, dass das Glas vermutlich, wenn nicht sowieso zerstört, vom deutschen Zoll einbehalten werden würde, füllte er kurzerhand vier 0,5 Liter Wasserflaschen ab. Das passte dann und etwas davon steht immer in der Hausbar.
Abseits davon existieren natürlich sehr gefestigte Rollenbilder, das habe ich hier und da schon mitbekommen. Es kommt aber auch immer darauf an, mit wem man gerade zu tun hat. Im Grunde also nicht so anders als hier in Deutschland.
Wenn ich mir unsere Tochter anschaue – sie schläft gerade an meine Brust gekuschelt – dann hoffe ich, dass wir ihr vermitteln können, dass sie alles machen und erreichen kann. Wenn sie Fußball spielen will, soll sie das tun können. Wenn sie doch lieber die rosa Barbie mag, habe ich auch damit kein Problem. Ich möchte sie nicht zu irgendetwas drängen oder ihr etwas verbieten, nur weil es männlich oder weiblich besetzt ist.
Was wünscht Ihr Euch für Eure Tochter für die Zukunft?
A: Dass sie glücklich und zufrieden aufwachsen und leben darf. Dass sie so sein darf, wie sie ist, und immer um unseren Rückhalt weiß. Dass sie in einer Gesellschaft groß wird, die hoffentlich Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz hinter sich lässt.
C: Persönlich ganz zuerst: Gesundheit. Gesamtgesellschaftlich natürlich eine Entwicklung, die es ihr ermöglicht ohne die Hürden aufzuwachsen, die heute zum Teil noch existieren. Viel zu tun also, aber ich glaube wir sind da auf einem guten Weg.
Vielen lieben Dank an Euch Beide für das Interview.