Kultur mit Kind, Nachgefragt

„Mein Tagesrhythmus liegt komplett drei Stunden früher.“

Wie ist das eigentlich, wenn Musiker Väter werden? Und was passiert mit der eigenen Identität, wenn sich plötzlich der Tagesrhythmus ändert? Und wie oft singt so ein Musiker denn für das eigene Kind? Diese und andere Dinge hat mir Peer, Sänger und Namensgeber der Band PEER, verraten, kurz bevor es auf Tour geht. 

Erzähl doch mal kurz, wie lange Du schon Musiker bist, und wie lange Vater? 

Peer mit Kind

In Bands spiele ich seit 20 Jahren, mein Sohn ist jetzt sieben Monate alt, sozusagen der neueste Release, ha! Davor erschien zuletzt im Mai 2014 das zweite Album der Gruppe PEER, namens „Galaktika“. Die Platte wurde per Crowdfunding finanziert, die Band entstand 2008 als Fortsetzung meines Solo-Projekts, mit dem ich auch schon zwei Alben rausgebracht hatte. Und dann gibt es auch noch le mobilé, meine alte Band seit 2000, mit der wir die vergangenen Jahre je ein Lied pro Jahr gemacht haben, da kommt dann 2016 oder 2017 ein neues Album. Mit meiner Musik habe ich aber nie eine kritische Masse erreicht, eher eine kritische Indie-Minderheit. Mein Geld verdiene ich bei einem Online-Verlag als Redakteur, die Musik war immer Leidenschaft. Und mit 38 ist mir auch ziemlich bewusst, dass es da keinen „großen Durchbruch“ geben wird. Aber dafür haben wir das ja auch nie gemacht.

Was hat sich verändert seit dem Dein Sohn auf der Welt ist? Im Leben und in der Musik ganz speziell?

Naja, ich bin nach Hamburg gezogen, habe quasi die Bands in Berlin zurückgelassen, habe mit dem Rauchen aufgehört, wohne nach WG-Jahren zum ersten Mal als Kleinfamilie zusammen, mein Tagesrhythmus liegt komplett drei Stunden früher, ich habe diesen neuen Mitbewohner, für den ich sorgen will – aber sonst hat sich nicht viel geändert. In der Musik ganz speziell: Meine Lieder gehen nicht mehr „Wir werden alle, alle sterben“/“Wir müssen diese Stadt zerstören“, sondern „Wo ist die Katze hin?“.

Wie hat sich das Rockstar-Leben verändert?

„Rockstar-Leben“ klingt irgendwie gut, aber es war ja eher ein Slacker-Leben mit Musik. Für die Bands heißt es erstmal: Vom Modell der wöchentlichen Proben muss Abschied genommen werden, ich bin eher alle zwei Wochen oder einmal im Monat in Berlin. Und dann gibt es eher Tour-Wochenenden als eine ausgedehnte Tour, und leider konnten wir zuletzt auch nicht alle Konzerte spielen, zu denen wir eingeladen wurden. Als der kleine Rocker zweieinhalb Monate war, waren wir drei Tage auf Tour, das war auch für mich merkwürdig und neu. Zwischen schlechtem Gewissen, Freiheit und Vermissen. Das will also organisiert sein.

Wie hast Du Dich verändert? 

Ich finde, man wird nochmal auf die Frage gestoßen, was einen selbst eigentlich ausmacht. Für viele Gewohnheiten und Leidenschaften, aus denen man die eigene Identität zusammengebaut hat, ist die Zeit nicht mehr da. Wobei ehrlich gesagt die Zahl der besuchten Konzerte, die neu gekauften Platten, anspruchsvollen Bücher oder Filme, Party-Nächte schon vorher mit dem Alter abgenommen haben, und nicht erst durchs Kind. Oder die Zahl der Songs, die ich schreibe. Da bin ich selbst einigermaßen gespannt, was aus der neuen Situation entsteht. Denn wenn das bisherige Konzept beim Liederschreiben war, sich auf eine Ebene der Unzufriedenheit oder Sehnsucht zu begeben, und Verhältnisse und Gefühle zu hinterfragen, findet das bei mir gerade wenig Wiederhall und Platz. Die vergangenen sieben Monate habe ich nur sehr sporadisch Textnotizen gemacht und weiß noch nicht, ob die Richtung vielleicht abstrakter oder erzählerischer wird – oder ob es doch einen Weg gibt, auch die neue Situation eher biografisch zu thematisieren – wie die „Galaktika“ auch das Thema enthält, eine Familie zu gründen. Oder dann doch das berüchtigte Kinderlieder-Album? Aber da stecke ich in der Szene noch nicht so weit drin.

Welche Rolle spielt die Musik bei der Erziehung Deines Sohnes? 

Ich habe eigentlich von Anfang an viel gesungen, beim Wickeln oder Herumtragen, klassische Schlaflieder, Summertime, spontane Umdichtungen oder falsche Texte („Always look on the Brei side of life“), und das ist schon erstaunlich, welche Lieder da so auftauchen – in den letzten Tagen kommen „My Way“ und „New York. New York“ immer wieder in meinen Kopf, keine Ahnung, warum. Mit drei Monaten habe ich angefangen, ihm abends auf der Gitarre ein paar Lieder zu spielen. Am Anfang fand er das sehr faszinierend, inzwischen wird er ungeduldig und will vor allem selbst auf die Gitarre klopfen. Mit „Erziehung“ scheint mir in dem Alter aber noch nicht viel zu sein. Sein Lieblingslied ist „Wind of Change“ – kann man nichts machen.

Was wünscht Du Dir? 

Abgesehen von einem menschenwürdigen Leben für alle fällt mir nicht so viel ein, was ich mir noch besser wünschen wollte. Klar: dass alles gut geht mit dem Kleinen, mit uns, meinen Eltern, und diese anderen grundliegenden Dinge: Anerkennung, Zufriedenheit, Sicherheit, Freiheit. Vielleicht noch konkret: dass endlich jemand den plötzlichen Kindstod sinnvoll erklärt, denn dieses Verunsicherungsszenario mit zu warm, zu weich, Bauchlage… dieses Rumgeeier mit den statistischen Korrelationen nervt.

Was macht Dein Sohn, während Du diese Fragen beantwortest?

Schlafen, in verschiedenen Konstellationen (Wagen, Manduca, Elternbett, eigenes Bett…).

PEER auf Tour:

9.4. Leipzig, Beard Brothers
10.4. Hof, KulturKaufHaus
11.4. Wasserburg, Innsekt

17.4. PEER präsentieren: The Great Magic Songwriting Circus, Berlin, Laika

Hier ist PEER zu finden:

peerband.de
facebook.com/peerband
peerband.bandcamp.com
facebook.com/songwritingcircus

Ihr habt auch ein Kind, interessiert Euch für Kultur und möchtet darüber reden? Schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.

Meine Interviewpartner über Kultur und Kind waren bereits:

Weltreisende und Autorin Heike: „Wir wollten zusammen Zeit verbringen“.  

Nicole vom Kinderbekleidungs-Label Emma und Käthe: „Mein Mann und ich sind ziemliche Spießer“
Alu und Konstantin vom Familienblog Grosseköpfe: „Wir partizipieren anders, aber nicht weniger“.
Andrea vom Runzelfüsschen-Blog: „Liebeserklärung an das Lesen“.
Susanna vom Babyplausch-Blog: „Interview mit einer Berliner Bloggerin“.
Erotik-Autorin Andrea Blumbach: „Der Vorteil von Schubladen“.
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