Mit Petra spreche ich in den Familienrollen über das Thema Wochenbett und postpartale Depressionen. Sie erzählt, was ihr beim Babyblues geholfen hat, warum sie es wichtig findet, über den Blues und die Angst davor zu sprechen, welche Symptome eine Rolle gespielt haben und weshalb, sie ein Buch über die postpartale Zeit nach der Entbindung vom Baby schreiben möchte und freut sich sicherlich über Kommentare von anderen Betroffenen.
Dein Wochenbett war überschattet: Du hattest eine sogenannte Wochenbettdepression. Was versteht man eigentlich darunter?
Zur Zeit meines Wochenbettes lebte ich mit meinem Ex-Freund in einer geräumigen Wohnung. Wir hatten uns gerade selbständig gemacht und hatten Pläne. Mein Ex-Freund hat das ganze Kinder-Thema nicht so gut verkraftet, wie er gedacht hatte und so stand ich aus meiner Sicht ziemlich alleine da.
Wenn nach der Geburt ein paar Tage vergehen, erleiden Frauen eine Hormonumstellung: Von der Schwangeren zur stillenden Mutter. Manche Frauen merken diese Umstellung mehr als andere. Hier spricht man vom sogenannten BabyBlues. Man ist sehr emotional, weint, flippt aus… es gibt die unterschiedlichsten Äußerungen. Wenn diese Tage länger anhalten und Mütter sich zunehmend schlecht fühlen, überfordert sind oder gar das Kind ablehnen, spricht man von Wochenbett Depressionen. Per Definition sind übrigens alle Depressionen innerhalb des ersten Babyjahres Wochenbett Depressionen, unabhängig ob der Auslöser ein traumatisches Geburtserlebnis war, körperliche Ursachen oder soziale Missstände verantwortlich sind. Für mich ist das zu weit gefasst!
Denn durch diese Definition kann man alles darunter fassen, also jede Mutter mit den unterschiedlichsten Symptomen.
Aber was heißt das jetzt genau: Von Verstimmungen über Bindungsstörungen zum Kind bis Selbstmordgedanken kann alles auftreten. Daher sind auch alle Behandlungsmöglichkeiten so unterschiedlich. Es gibt Familien, da reicht es, wenn man Aufklärung über dieses Phänomen betreibt und dann alle etwas mehr Rücksicht nehmen und mit anpacken. Es gibt auch Fälle, wo man eine medikamentöse Behandlung oder einen Klinikaufenthalt in Betracht zieht. Es wird nicht zwingend empfohlen, aber ich denke schon, dass Betroffene eigentlich immer eine Therapie anschließen sollten. Denn viele Mütter sehen diese Zeit als Frevel, als Makel – obwohl es so viele ereilt!
Ich selbst habe das eigentlich erst nach einigen Jahren im Rückblick erkannt. Meine Ärztin und meine Hebamme waren absolut unerfahren in dieser Thematik und haben das alles nicht so erkannt. Daher bin ich nie so behandelt worden, wie es vielleicht hätte sein gemusst. Man muss dazu sagen, dass ich während der Schwangerschaft eine Gesprächstherapie begann – leider auch hier mit einer Studentin, die das alles nicht im Blick hatte. Und auch heute noch steht keine richtige Diagnose im Raum.
Alles in allem glaube ich, dass diese Erkrankung überhaupt kein Teil von irgendeiner Ausbildungen im weiten Berufsfeld “Schwangerschaft” ist. Ein absoluter Fehler! So viele Mütter sehen sich als schlecht an, weil sie ihre Gefühle nicht zuordnen können und einfach niemand sagt: “Es ist ok so!”
Hattest Du vor der Schwangerschaft schon mal mit Depressionen zu kämpfen?
Auch hier würde ich rückblickend sagen, hatte ich. Mein Arzt hat mich in der Schwangerschaft zur Gesprächstherapie geschickt, weil er Selbständigkeit und Schwangerschaft als “ziemlich viel zu verkraften” eingestuft, es aber sonst nicht weiter untersucht oder gar behandelt hat. In einer viel späteren Gesprächstherapie kam zusätzlich heraus, dass ich schon seit jeher recht viel Potential für depressive Phasen in mir trage. Auslöser für das große Ganze und die anhaltenden Gefühlsschwankungen war aber sicherlich die traumatische Geburt – und die Tatsache, dass ich mich dadurch noch viel mehr als Versagerin fühlte.
Heute weiß ich, dass das überhaupt alles gar nicht sein muss. Hätte ich besser gewusst, was mit meinem Körper und mit meiner Seele nach einer Geburt passiert / passieren kann, hätte ich besser auf mich geachtet und mir eher die passendere Hilfe gesucht.
Du bist alleinerziehend: Was hat Dir in der ersten Zeit dann letztlich geholfen??
Nach der Trennung begann ich, mich selbst aufzuarbeiten. Ich möchte nicht sagen, mein Leben. Denn kurioserweise habe ich überhaupt keine schlechte Kindheit oder Ähnliches. Also sprach ich viel mit unterschiedlichsten Therapeuten.
Was mir aber auch geholfen hat, war das Internet. Ich las Erfahrungsberichte von anderen Müttern mit ähnlichen Schicksalen UND ich las davon, dass man solche Traumata aufarbeiten kann. Dort las ich auch das erste Mal von Wochenbett Depressionen.
Dann begann ich das schreiben. Auf meinem Blog, auf anderen Seiten, in den Netzwerken – und auch in mein Tagebuch. All das, was ich im Kopf habe, schreibe ich heute auf. Das leert meinen Kopf, macht meine Gefühle frei, erdet mich.
Sprechen, lesen und schreiben ist also mein Mittel der Wahl gewesen, um mir ein stabiles Gefühlsleben zu ermöglichen. Es muss aber jeder herausfinden, was sein Mittel ist. Ich weise noch mal darauf hin, dass auch Medikamente helfen können.
Und sicherlich kann mir jede Alleinerziehende bestätigen: Die Existenzängste, die Erschöpfung und die lastende Verantwortung bleiben trotz aller Gespräche und Texte ja ein großer Teil (m)eines Lebens, wenn man sich allein um eine Familie kümmert (egal wie groß). Ich muss also immer aufpassen, nicht wieder in eine negative Spirale abzurutschen!
Nun schreibst Du ein Buch über das Thema „Depression bei Eltern“: wie kam es zu dem Projekt?
Als ich letztes Jahr merkte, dass ich wieder für ein paar Wochen in dieses negative Gedankenkarussell rutschte, beschloss ich, dass ich etwas radikal ändern müsste. Der Job lief nicht so, wie gehofft, ich lebte immer noch allein und fühlte mich hilflos.
Ich fragte Freunde, was ich machen soll: Du musst schreiben, war die Antwort.
Ok, ein Buch schreiben, das konnte ich mir vorstellen. Aber worüber?
Zu diesem Zeitpunkt hörte ich den Podcast von Stark und Alleinerziehend. Dort hörte ich immer wieder von Depressionen bei Alleinerziehenden, aber auch von Frauen, die etwas aus ihrer Situation machen. Wie Janina von Bärti on Air. Sie zieht allein mit ihrem Sohn um die Welt und berichtete von Bali.
In meinem Kopf verband sich das alles ganz schnell zu einem großen Projekt: Ich will ein Buch über mich, die depressiven Phasen schreiben. Ein Buch während meiner Arbeit zu verfassen, alleinerziehend zu sein und auch noch den Alltag zu meistern? Das schien mir utopisch (ich frage mich eh immer, wann andere Blogger-Eltern das machen, nachts???), also wollte ich verreisen und zwar nach Bali. Ich habe mir so viel von Bali vorab angesehen: Ich finde, es ist einer der schönsten Plätze dieser Welt. Also wollte ich dort schreiben!
Mehr dazu könnt ihr hier sehen: www.ein-buch-auf-bali.de
Die Reise hat bisher noch nicht geklappt, weil das Ganze natürlich auch bezahlbar sein muss. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben und allein, dass ich dieses Projekt gestartet habe, hat mir so viele Menschen in mein Leben gespült, mir so viele Knoten im Kopf gelöst, dass es sich allein dafür schon gelohnt hätte. Und das Buch versuche ich nun nach und nach jetzt schon zu schreiben: Wie ich das mit den Wochenbett Depressionen sehe, was anders laufen müsste und wie ich da meinen Weg gehe – es ist kein Leitfaden für andere, aber eine Art Motivations-Aufklärungsbuch.
Denn ich denke Burn Out und Depressionen sind in unserer Gesellschaft immer noch ein Makel wenn nicht ein Tabu-Thema. Dabei laufen wir gerade alle Gefahr, genau dort zu landen: In einer Gesellschafts-Depression.
Was rätst Du andern Eltern, die mit depressiven Stimmungen zu tun haben, ob im Wochenbett oder später??
Zunächst mal: Wenn ihr irgendwie das Gefühl habt, es stimmt etwas nicht: Geht zum Arzt! Und wenn der euch nicht zuhört, geht zum nächsten. Fragt andere Mütter, wie es nach der Geburt war. Lest mal auf Blogs nach, wie es ist, plötzlich Verantwortung zu tragen. Das allein macht das alles schon etwas leichter.
Und wenn ihr doch eine Depression fest stellt, dann schämt euch nicht! Sprecht es an, ihr werdet sehen, wie viele sagen: Das kenne ich!
Ich habe beispielsweise auch einen Podcast und eine facebook Gruppe zu dem Thema, da kann man schon vieles hören und lesen – wie viele es betrifft und was andere so tun. Auf www.Ein-Buch-Auf-Bali.de kann man die Links dazu finden!
Zudem möchte ich noch zwei Seiten nennen. Die Links zeigen direkt auf Themen zu Wochenbett Depression, helfen aber bei jeder Art von Depressionen weiter:
http://www.buendnis-depression.de/depression/nach-der-geburt.php#Behandlung
http://www.schatten-und-licht.de/index.php/de/fragebogen-zur-postpartalen-erkrankung
Vielen lieben Dank für das Interview, Petra, und viel Glück für Dein Projekt.
Ihr wollt auch über Eure Familie sprechen und mir ein Interview für die Familienrollen geben? Dann schreibt mir eine Mail unter fruehesvogerl@gmail.com.