Immer am Dienstag gibt es hier ein Kultur mit Kind – Interview. Aus aktuellem Anlass geht es in den kommenden Wochen darum, wie Eltern ihren Kindern Toleranz beibringen. Petra setzt sich für „Blogger für Flüchtlinge“ ein. Sie erzählt, warum sie das tut und was sie ihrem Sohn mitgeben möchte.
Stell Dich doch bitte kurz vor.
Ich bin Petra, Bloggerin bei allerlei-themen.de und Social-Media-Marketing-Managerin-irgendwas-Tante. Ich lebe im bergischen Land mit meinem Lausbuben (er wird bald vier und kann es kaum erwarten) und drei Katzen. Alleinerziehend, aber das spielt eigentlich keine große Rolle. Ich bin Familienmensch, handarbeitswillig und mag auch sonst immer Dinge ausprobieren. Und ich freue mich, dass wir so unbürokratisch zusammen gefunden haben: Ganz im Sinne der Aktion.
Du setzt Dich unermüdlich für „Blogger für Flüchtlinge“ ein, was bedeutet das Projekt für Dich?
Ja. Das Projekt #Blogger für Flüchtlinge. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Eben fragte mich noch eine Freundin, ob ich momentan noch etwas anderes tun würde, außer online für die Kommunikation für dieses Projekt zu sorgen. Ehrlich gesagt, nein, tue ich nicht. Außer Bewerbungen schreiben (ich suche eine neue Stelle) und meinen Sohn zu versorgen und zwar anständig selbstverständlich. Der geht immer vor!
Wie kam ich dazu? Der Grund ist eher persönlich (neben der Tatsache, dass ich nicht will, dass sich die Geschichte wiederholt!) Nun letzten Sonntag lud mich Märry Raufuß zur Gruppe ein (wie das alles entstanden ist, mag ich gar nicht erzählen, das ist viel zu kompliziert).
Zeitgleich jedenfalls las ich den Beitrag von Lucie Marshall über die Flüchtlinge und auch über die schwangere Frau, die ihren 3jährigen „verloren“ hat. ER war zu LAUT und wurde über Bord geworfen. Dazu muss man wissen, dass mein Lausbub ebenfalls laut ist und das schon oft unangenehme Situationen hervorgerufen hat.
Ich habe mich postwendend geschämt für jeden Moment, den ich mich je darüber geärgert hatte. Denn: Mein Sohn lebt! Der gleichaltrige Sohn der Schwangeren nicht. Ich war fassungslos. Bin es noch. Albträume stellten sich ein.
Auf der Webseite sagte Daniela Müller am gleichen Sonntagabend, sie würde eine Webseite gestalten wollen. Märry, Anderl und ich meldeten uns sofort zur Hilfe. Währenddessen stürmte der Hashtag #Bloggerfuerfluechtlinge die Twitter Charts. Und wir begannen am selben Abend mit der Umsetzung. Ich kann bis heute nicht ganz glauben, welche Energie da frei gesetzt wurde (und immer noch im Umlauf ist).
In 48 Stunden (inklusive Nachtschicht) setzten wir das Ding um und bestaunten, was dann folgte: Die Gruppe um die Aktion wuchs. Die Ideen waren so zahlreich wie klug und die Stimmung war so energiegeladen, dass man es durch den Laptop hätte spüren können. Woran das liegt? An der unglaublichen Motivation von Paul, dieser Unbürokratie und dieser Art von „machen, statt reden“. Das tut gut!
Die Alpträume sind weniger geworden. Wenngleich ein Artikel heute mir wieder die Luft nahm. Ich lese Erfahrungen leider daher nur noch bedingt.
Wie reagiert Dein Umfeld auf Dein Engagement?
Seit diesem Sonntag sind jetzt 6 Tage (mittlerweile ein paar mehr) vergangen. Meine Nachbarin (auf meinem Blog kann man unsere regelmäßigen Abendunterhaltungen erahnen) kommt definitiv zu kurz (DANKE J.!), aber meine Familie findet es gut!
Ich habe ihnen davon erzählt und sie staunten nicht schlecht, dass (zum jetzigen Zeitpunkt) 50.000 Euro in 5 Tagen als Spende eingenommen (mittlerweile fast doppelt soviel) wurde und einfach so 750 Postkarten nach Heidenau unterwegs sind.
Bloggen hält jeder, der es nicht kennt, für eine Art Tagebuch mit lustigen Effekten im Internet: Dass es mehr sein kann, glauben sie erstmal nicht.
Was meine Freunde und Follower auf FB, Twitter und Insta dazu sagen. Keine Ahnung. Ihr Lieben, was haltet ihr davon?
Die meisten aus meiner seit der Aktion gewachsenen Bloggersphäre sind selbst in der Gruppe. Allen anderen habe ich gesagt, dass sie mich blocken sollen, wenn es ihnen nicht passt. Das Thema ist mir zu wichtig.
Von einigen Freunden weiß ich aber, dass sie es gut finden, was dort passiert (auch wenn sie mich für verrückt erklärt haben!) 😀
Und im übrigen bin ich konsequent geworden: Wer sich seltsam äußert, dem entfreunde ich, auch real. Abgesehen davon entstehen gerade seeehr viele neue TOLLE Kontakte!
Und: Ich war kurz Zielscheibe einiger Danksagungen 🙂 Ihr Lieben: DANKE, es tut gut, dass ihr es seht. Aber mein Dank gilt denen, die tagtäglich bei den Unterkünften arbeiten und die Geschichten hören. Dabei nicht abzustumpfen ist eine harte Zerreißprobe!
Wie führst Du Deinen Sohn an das Thema Toleranz heran, und wie versuchst Du ihm Deine Werte zu vermitteln?
Mein Vater erzählt mir bis heute, wie er im Bauch meiner Oma als Vertriebener im Eisenbahnwagon transportiert wurde. Ich wurde sehr schonungslos an das Thema herangeführt und so wird es bis heute gehandhabt: Wenn es aus meinem Vater heraus bricht, dann in geballter Ladung. Ich mag das! So vergesse ich es nicht.
Nein, keine Sorge, mein Lausbub wird vier. Dem bringe ich das alles sehr behutsamer als mit dieser Geschichts-Keule nahe. Als ich ihm am Dienstag Morgen erklärte, was ich da gerade am Laptop mache, da wollte er wissen was „Flüslinge“ sind. Ich habe es ihm erklärt. Oft. Den ganzen Morgen bis zur Kita fragte er immer wieder nach, was welches Wort bedeutet. Vor der Kita sah er mich an „Mama, du kannst mich auch erst um 16h (sonst 15h) abholen. Dann hast Du mehr Zeit“. Ja ja, Lobhudelei am Kind und so, aber ich bin versteinert vor Rührung, Entsetzen und Liebe. Dazu hatte ich nichts mehr zu sagen außer einem Nicken.
Kinder begreifen so viel! Auf Twitter liest man immer wieder über solche Kinder-Kommentare. Ich bin also nicht die Einzige, die erklärt und tut und macht. Und immer sind es die Kinder, die die „Bösen“ nicht verstehen und alle „Flüslinge“ lieb haben wollen.
Und ich las auch die Frage, wann genau wir das als Erwachsener eigentlich verlieren (sorry, den Autor weiß ich nicht mehr)?!?
Was mir auffällt, ich habe sehr oft den Satz „es gibt Kinder, die haben gar nichts, stell dich nicht so an“ auf der Zunge. Gott sei Dank habe ich es bisher nur einmal wirklich gesagt, denn der Lausbub kann ja nichts für meine Emotionen momentan und hat ein Recht Spielzeug haben zu wollen. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass Kinder der Wohlstand etwas relativierter dargestellt werden sollte. DAS ist aber ein anderes Thema.
Lausbubs bester Freund (im Bild) ist im übrigen auch nicht Deutsch. Ihm ist das total egal (mir erst Recht) und sie verteidigen sich beide gegenüber anderen sogar mit Prügeleien. Braucht es mehr?
In den nächsten Wochen werden 300 Flüchtlinge bei uns in Wuppertal erwartet. Dann wird hier wohl noch die ein oder andere Möglichkeit aufkommen, Toleranz zu demonstrieren. Ob mit dem Lausbub? Keine Ahnung.
Gibt es noch etwas, dass Du unbedingt beantworten möchtest, aber in dem Zusammenhang nicht gefragt wurdest?
Ja, die Frage nach der Gewalt, die mich treffen könnte. Denn das ist in der Tat noch etwas, was uns alle (den Admins und Initiatoren) seit Tagen durch den Kopf geht. Damit meine ich nicht die blöden Kommentare, die wir unter Beiträgen finden, denn die ignorieren wir (der Zusammenhalt ist bei uns wirklich groß). Was mich beschäftigt, ist die Angst vieler Gruppenmitglieder vor der Gewalt VOR der eigenen Haustür. Wir wissen alle, das Adressen nicht sicher sind. Ich habe mir oft in den letzten Tagen die Frage gestellt, ob ich mit meinem Sohn verantworten kann, dass ich mich so klar äußere. Und bin zu dem Entschluss gekommen: Ja, kann ich! Nicht, weil ich die Gefahr unterschätze (eher nicht), sondern weil wir Gott sei Dank eine gute Nachbarschaft haben.
Ich würde mir aber wünschen, dass wir hier alle (auch vor Ort) sensibler werden!!!
Danke für das Interview.
Ihr habt auch ein Kind, dem ihr Toleranz beibringt und wollt darüber reden? Schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.
Eine Übersicht über die bisher geführten Interviews zum Thema „Kultur mit Kind“ findet Ihr hier.