Mit acht Wochen kam Lu in die Kinderkrippe, die Erziehung übernahmen größtenteils die Großeltern und die Tante: Wie sie die Beziehung zu ihren Eltern dadurch empfindet, und was sie bei ihren eigenen beiden Kindern anders machen möchte, davon erzählt sie in den Familienrollen.
Lu – schwanger mit dem zweiten Kind – möchte anonym bleiben. |
Als ich bei Twitter auf der Suche nach jemanden war, der bei den Großeltern aufgewachsen ist, hast Du Dich gemeldet, weil das zu einem Großteil auch auf Dich zutrifft. Warum warst Du als Kind häufig bei Deinen Großeltern?
Genau, ich hab mich irgendwie direkt angesprochen gefühlt. Meine Eltern waren, als ich geboren wurde, beide sehr jung und mussten auch relativ schnell wieder arbeiten. Es war kurz nach der Wende, aber in der DDR war das halt so, dass man jung Eltern wird.
Sie hatten einfach keine Zeit für mich. Ich kam mit acht Wochen direkt in die Kinderkrippe, die man heute als Kita kennt. Dort konnte ich aber nur von acht bis zwölf Uhr bleiben. Hingebracht und abgeholt wurde ich immer von meiner Oma, oder von meiner Tante.
Meine Großeltern (vor allem väterlicher Seite) haben meine Erziehung – so gesehen – übernommen. Oh Gott, Du kannst Dir wahrscheinlich vorstellen, welche generationsbedingten Konflikte es damals gab.
Meine Mama hat noch zwei Schwestern, aber nur eine war regelmäßig in unserer Nähe. Sie wurde dann auch mit eingespannt. Sie hat es geliebt und ich auch.
Heute ist sie fast sowas wie meine zweite Mama und in manchen Beziehungen stehen wir uns auch viel näher, als ich und meine eigentliche Mutter das tun.
Wie hat sich diese „andere Verteilung“ auf Euer aller Beziehung ausgewirkt?
Eine Spieluhr aus ihrer Kindheit steht heute noch in der Wohnung. |
Wie oben schon leicht angeschnitten, war meine Tante eine sehr wichtige Bezugsperson für mich.
Mit meinen Eltern war es irgendwie sehr kompliziert. Als ich ein kleines Kind war, schien das für mich selbstverständlich zu sein. Aber umso älter ich wurde, umso mehr konnte ich vergleichen: Wie lief das denn bei den anderen Kindern?
Die sind mit ihren Eltern zum Spielplatz, schwimmen, Eis essen und sonstige Dinge: Ich habe das mit Oma und Opa gemacht, oder mit der lieben Tante.
Als ich alt genug war, um das alles in größeren Umfängen zu verstehen, war es irgendwie schon zu spät. Ich kam bei meinen Eltern nicht mehr an, als ich mit ca. elf Jahren äußerte, dass ich mehr Zeit mit Ihnen verbringen wolle. Sie dachten, jetzt wäre der Moment gekommen, wo ich selbstständiger würde.
Mit dem Einsetzen der Pubertät wurde alles schlimmer: Ich war ein richtiges Problemkind. Ich hab geraucht, nicht nur Zigaretten. Viel zu jung. Irgendwann bin ich weggelaufen. Zu meiner Tante. Die inzwischen auch gute 300 km weg war. (Ich frag mich ja bis heute, wieso mich im Zug niemand angesprochen hat. Ich hatte nicht mal ein Ticket- Da war ich 14 Jahre alt)
Meine Mutter versuchte dann den Kontakt zu Oma und Tante zu unterbinden. Da brach für mich eine Welt zusammen. Das Ende vom Lied war, dass ich mit 16 zu Hause ausgezogen bin und mit 18 dann ganz weit weg zog.
Welche Erlebnisse in Deiner Kindheit haben Dich besonders geprägt?
Lieblingsteddy in der Kindheit: Ein Geschenk der Tante. |
Um ehrlich zu sein, stimmt mich diese Frage etwas traurig. Nicht, weil ich keine schöne Kindheit hatte, die hatte ich in meinen Augen trotzdem fast immer. Sondern eher, weil ich alle prägenden Erlebnisse mit anderen Menschen verbinde: Meine Eltern spielen da erst sehr spät eine Rolle, und diese ist leider eher negativ.
Solche „Lappalien“ wie meine erste Achterbahnfahrt zum Beispiel habe ich mit meiner Tante unternommen: Heute bin ich ein absoluter Karussell-Junkie
Etwas richtig Prägendes? Ich habe meinen Papa mal weinen sehen. Oma war langsam überfordert mit mir und hat gesagt, dass es so nicht weiter gehen kann. Papa schien es verstanden zu haben, konnte es aber nie umsetzen. Ich glaub da war ich circa zehn Jahre alt. Er weiß bis heute nicht, dass ich das mitbekommen habe.
Wie ist Deine Beziehung zu Deinen Eltern heute?
Heute verstehen wir uns deutlich besser als jemals. Wir sehen uns durch die große Entfernung nicht oft. Das ist tatsächlich gut so. Aber wenn es mehr als vier Tage sind, wird es anstrengend.
Welche Großeltern sind Deine Eltern Deinem Kind: Verschiebt sich hier etwas, oder erkennst Du vieles von damals wieder?
Ich sag mal so: Sie geben sich Mühe. Die Distanz macht es natürlich ohnehin schwierig, sich oft zu sehen. Aber wenn sie dann da sind, versuchen sie wirklich gute Großeltern zu sein.
Sie verwöhnen den Großen, wie alle Großeltern das tun und werden das mit dem Kleinen wohl genau so tun.
Auch wir hatten da am Anfang natürlich unsere Probleme, was die schlauen Ratschläge betrifft. Aber da müssen irgendwie ja alle durch, oder?
Was wünscht Du Dir für Dich und Deine Familie für die Zukunft?
Für meine eigene Familie wünsche ich mir tatsächlich einfach Zeit. Das Wichtigste was ich von meinen Eltern gelernt habe, ist tatsächlich, wie man es eben nicht macht. Als mein Großer geboren wurde, konnte ich mir gar nicht vorstellen so schnell wieder arbeiten zu gehen. Acht Wochen: Wow. Im Gegenzug: Ich bin 2,5 Jahre zu Hause geblieben und bin davon überzeugt, dass das ein Schritt in die richtige Richtung war.
Wenn der Kleine da ist, werde ich es genau so machen. Vielleicht sogar die vollen drei Jahre.
Ich finde das auch praktisch, da der Große in der Zeit auch eingeschult wird. So kann ich voll und ganz für ihn da sein.
Danke Dir für Deine Antworten und die Bilder.
Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com.