Familienrollen, Kultur mit Kind

„Es ist manchmal schwierig sich in Gruppen einzufügen, wenn man irgendwie „anders“ ist“

Wie es für sie selbst als Kind war adoptiert zu sein, was sie von ihren leiblichen Eltern mitbekommen hat und warum sie bisher nicht nach ihnen gesucht hat, erzählt Martina in den Familienrollen. Martina schreibt auf ihrem Blog über ihren Kinderwunsch, die traurige Totgeburt ihres Sternkindes und wie ich grad eben gelesen habe, und zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht wusste, über ihre jetzige Schwangerschaft. 

Als Du vier Wochen alt warst, bist Du zu Deinen Adoptiveltern gekommen: Hat man Dich bereits in der Kindheit darüber aufgeklärt?

Martina mit ihrer Mutter

Die Adoption war bei uns eigentlich immer irgendwie Thema. Natürlich kann man als kleines Kind noch nicht so viel damit anfangen, aber meine Mutter hat mir oft erzählt „Bei uns war das ein bisschen anders…“ wenn sie mich abends ins Bett brachte.

Als es Zeit für erste Bilderbücher als Gute-Nacht-Geschichte wurde haben meine Eltern ein Bilderbuch für mich gehabt: „Wie Tine ihre Eltern bekam“. Das haben wir oft gemeinsam gelesen. Irgendwann habe ich wohl selber gesagt „So war das bei uns auch!“ Ich war also bei dem Thema schon sehr selbstsicher als ich in die Schule kam. Letztendlich war es gut, denn eine Schulfreundin hat mir mal während des Unterrichts an den Kopf geworfen „Du bist ja eh nur adoptiert“. Sie hat es vermutlich bei ihren Eltern irgendwann aufgeschnappt. Mir machte dies nichts aus, denn es stimmte ja und ich habe es nie als Beleidigung aufgefasst, weil das einfach Normalität für mich war.

Mein damaliger bester Freund kam aber weinend nach Hause und seine Mutter rief besorgt bei uns an was los gewesen wäre. Ansonsten war das eigentlich in meiner Kindheit nie großes Thema. Es war einfach ein Teil von uns und sozusagen Normalität.
Über die Hintergründe weiß ich nicht viel. Meine leiblichen Eltern waren wohl damals noch sehr jung und entschieden sich für die Adoption. Ansonsten war die Adoption anonym.

Wie würdest Du das Verhältnis zu Deinen Adoptiveltern beschreiben? 

Martina 1981

Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Ich wohne immer noch im gleichen Ort, etwa fünf Minuten von ihnen entfernt und wir sehen uns einmal die Woche.

Mein Mann und ich sind ja nun schon einige Jahre in Kinderwunsch-Behandlung. Meine Eltern waren natürlich informiert, sie haben ja in diesem Bereich auch ein paar Erfahrungen gemacht. Ab diesem Zeitpunkt war Adoption schon auch öfter ein Thema bei uns. Vorher eher weniger, weil es einfach für uns so normal war. Man redet ja auch nicht ständig darüber wie viel Kaffee man morgens trinkt. Es gehörte zum Leben dazu.

In der Verwandtschaft war es zunächst mal gar kein Thema, zumindest nie wirklich direkt als Gesprächsthema. Meine Mutter hat damals wohl Sprüche zu hören bekommen wie „Na jetzt habt ihr ja einen Erben“ (aus der Verwandtschaft) oder „Das du dich jetzt mit fremden Federn schmücken musst…“ (aus der Nachbarschaft). Zu mir wurde aber nie etwas gesagt.

Jahre später denkt man auch manchmal über Situationen von früher nach und wie manche Dinge zum Beispiel auf Familiengeburtstagen verlaufen sind und ich denke das ich anfangs wohl nie als „vollwertiges“ Kind oder Familienmitglied gesehen wurde, weil ich ja „nur“ adoptiert war. Ich will nichts unterstellen, aber so vom Gefühl her ist das wohl einfach so. Meiner Oma wurde aber später immer gesagt „Man sieht das ihr verwandt seid!“ was gar nicht sein kann, da sie nur die Stiefmutter war und ich adoptiert bin, aber sie war dann immer ganz stolz.  Aber wirklich thematisiert wurde es nie. Ich musste mir die Gunst der Verwandtschaft aber immer erarbeiten.

Ich war allerdings nie der Mensch, der sich besonders viel aus der Verwandtschaft macht. Familiengeburtstage mochte ich nie und mag sie auch immer noch nicht. Ob das am Adoptionshintergrund liegt kann ich nicht sagen. Eine mögliche Erklärung ist, dass man mir wohl früher oft das Gefühl gab nicht dazu zu gehören (ob bewusst oder unbewusst kann ich nicht sagen) und so wollte ich letztendlich auch nicht dazu gehören und bis auf ein paar Ausnahmen ist das bis heute so geblieben.

Generell war und bin meisten ich diejenige, die das Thema zur Sprache bringt. Ich bin ziemlich offen und sage immer direkt was los ist, wenn ich gefragt werde. Viele können damit nicht gut umgehen, wenn man zum Beispiel beim Arzt nach Vorerkrankungen gefragt wird und dann sagt „Keine Ahnung, bin adoptiert“ schaut erstmal jeder total entgeistert.

Hast Du vor in Zukunft nach Deinen leiblichen Eltern zu suchen? 

Martinas Familie 1981.

Nein, aktuell habe ich nichts in dieser Richtung geplant. Bisher bestand eigentlich nie der Wunsch zu suchen. Manchmal, wenn im Fernsehprogramm Sendungen wie „Vermisst“ laufen und dann Adoptivkinder ihre Eltern suchen, dann kommt man ins Grübeln. Ich denke dann, ob es nicht auch schön wäre nach Jahren die leibliche Mutter kennenzulernen. Letztendlich ist der Anreiz aber nie groß genug den Schritt tatsächlich zu wagen.

Mich würde glaube ich vor allem interessieren, ob es noch Geschwister gibt. Meine Adoptiveltern haben kein weiteres Kind adoptiert (es wurde ihnen angeboten aber sie haben abgelehnt damit auch andere Adoptionsbewerber eine Chance haben) und ich bin als Einzelkind aufgewachsen. Wenn ich Freunde und ihre Geschwister miteinander sehe denke ich schon manchmal, ob es da vielleicht noch Geschwister von mir gibt.

Viel weiß ich nicht, eigentlich nur Bruchteile von Informationen, die man in Gesprächen mal aufschnappt. Ich weiß, dass beide noch sehr jung waren (im Bereich zwischen 14 und 16). Beide stammen wohl aus dem Landkreis und die leibliche Oma ist wohl mittlerweile verstorben.

Ansonsten darf ich annehmen, dass meine Mutter mich trotz allem geliebt hat, denn mein zweiter Vorname „Angela“ wurde mir von ihr gegeben, meine Adoptiveltern haben dann einen Namen gewählt der dazu passt. So habe ich trotz allem immer ein Andenken.

Im Zuge unserer eigenen Kinderwunschbehandlung, meiner Hormonerkrankung, Neigung zu Diabetes usw. kam mir schon öfter der Gedanke das es in dem Moment praktisch wäre Kontakt herzustellen und Dinge zu erfragen.

In meiner Akte steht, soweit ich weiß, nichts von Vorerkrankungen. Letztendlich entwickeln sich viele Dinge erst später oder waren für Akten nicht relevant, die jetzt für mich vielleicht interessant wären zu wissen.

Also Suchgrund wäre mir das aber zu wenig. Ich finde, da müsste der emotionale Wunsch einfach größer sein.

Du bloggst über Dein Leben mit Kinderwunsch: Stand das Thema Adoption bei Euch auch mal im Raum? 

Martina und Markus.

Als wir unseren langen Kinderwunsch-Weg begonnen haben, habe ich auch mit dem bloggen gestartet. Damals – das klingt komisch aber es ist tatsächlich auch schon acht Jahre her – dachten wir zunächst es geht ganz schnell, ein paar Hormonpillen, ein bisschen herzeln und dann wird das schon.

Nach einiger Zeit, mehreren Zyklen unterstützt vom Frauenarzt und auch nach mehreren Versuchen in der Kinderwunschpraxis wurde uns klar, dass es doch nicht so einfach ist wie man es sich anfangs denkt. Oft stand die Frage im Raum wie weit wir gehen wollen, was ist Plan A, B oder C?

Für mich war es eigentlich immer wichtig Alternativen zu haben und diese mit meinem Mann abzusprechen. Plan A war also zunächst die drei Kassenversuche Künstliche Befruchtung zu machen und dann, wenn es wirklich nicht klappt, eine Adoption anzustreben. Adoption war also zunächst unser Plan B. Ich sagte immer zu meinem Mann, dass ich ja selber adoptiert bin und daher weiß das es für ein Kind nicht schlimm ist. Mir war aber wichtig, dass wir wenn dann einen Säugling adoptieren, ein kleines Baby was uns von Anfang an als Eltern kennenlernt. Quasi so, wie ich es selbst kannte. Ein Kleinkind hatte ich für mich ausgeschlossen, da ich es persönlich immer für das Kind schlimm finde von Familie zu Familie oder von Heim zu Heim weitergereicht zu werden und ich war mir nicht sicher, ob ich den Bedürfnissen eines älteren Kindes gerecht werden könnte.

Nach der ersten negativen ICSI habe ich mich mit dem Jugendamt in Verbindung gesetzt und bezüglich Adoption schon mal angefragt. Die Dame war direkt sehr abweisend am Telefon und meinte in unserem Alter hätten wir da eh keine Chance. Mein Mann wurde zu diesem Zeitpunkt 35, man prophezeite uns etwa 1,5 Jahre Wartezeit bis das Aufnahmeverfahren durch sei und mindestens 3 Jahre Wartezeit bis ein Kind verfügbar wäre. Und ab 40 bekommt man in Deutschland keinen Säugling mehr zugesprochen. Außerdem würde im Landkreis eher die Pflegschaft angestrebt, Adoptionen wären nur noch sehr selten und unsere Chancen wären sehr gering. Wir müssten außerdem ein Dokument unterschreiben, mit dem wir uns verpflichten nicht mehr selbst eine Schwangerschaft anzustreben. Einerseits logisch, man möchte von Seiten des Jugendamtes verhindern das dann ein Adoptivkind mit einem leiblichen Kind aufwächst und es dann Probleme gibt, andererseits war das wie die Pistole auf die Brust für uns: „Wir können ihnen nichts garantieren aber sie dürfen es auch nicht weiter versuchen!“

Mein Mann hat dann irgendwann im Gespräch leise zugegeben, dass er es lieber weiter probieren möchte und dann auch lieber Möglichkeiten wie Samenspende u.a. in Betracht ziehen würde als sich vom Jugendamt so „erpressen“ zu lassen. So haben wir uns dann letztendlich entscheiden, weiter den Weg mit der Kinderwunschpraxis zu gehen, denn mir war auch die Meinung meines Mannes sehr wichtig, schließlich gehen wir diesen Weg gemeinsam.

Ich habe mir aber immer die Option offen gehalten vielleicht in Zukunft ein Pflegekind aufzunehmen, unabhängig vom Ausgang unserer Kinderwunschgeschichte.

In diesem Winter hast Du in der 39. Woche Deinen Sohn tot geboren. Unvorstellbar wie schrecklich das für Euch gewesen sein muss. Hilft Dir der Austausch auf dem Blog? 

Ja unser Matthis kam in der 39. Woche zehn Tage vor Termin tot zur Welt. Eigentlich ist es immer noch unbegreiflich, man wähnt sich so kurz vor dem Ziel und so schnell ist plötzlich alles vorbei.
Eine Sache hat mir vor kurzem dann aber, auch im Hinblick auf die Adoptionsthematik, zu denken gegeben.

Mir wurde plötzlich klar, dass ich (zumindest nicht bewusst) keinen Menschen kenne, der tatsächlich mit mir verwandt ist. Wie sagt man so schön: „Mein Fleisch und Blut“. Mein Sohn war nun der erste Mensch überhaupt, der mir so nahegestanden hätte und genau diesen Menschen musste ich gehen lassen. Natürlich steht mein Mann mir auch sehr nah, natürlich auch meine Adoptiveltern. Aber es ist irgendwie doch etwas anderes, und es war irgendwie doppelt schwer als mir das erst richtig bewusst wurde.

Der Austausch auf dem Blog hilft mir wirklich sehr. Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen und oft auch Dinge formulieren, für die ich in Gesprächen nicht die passenden Worte finde.

Es ist ja in der heutigen Zeit immer noch oft so, dass verstorbene Kinder ein Tabuthema sind. Fehlgeburten kämpfen sich mittlerweile in die Öffentlichkeit, es gibt immer mehr Frauen die sich damit in die Medien trauen oder auch Paare wie die Martins, die über ihre Sternenkinder ein Buch geschrieben haben und sich auch politisch engagieren.

Aber Kinder, die kurz vor der Geburt versterben, das gibt es doch heute gar nicht mehr“. Tatsächlich habe ich das jetzt schon ganz oft zu hören bekommen. Viele tun sich auch schwer mit mir über mein Kind zu sprechen, sich Fotos anzusehen. Die wenigsten können mit dem Thema Tod umgehen. Mein Blog ist quasi ein Ort, wo Matthis immer noch existiert, wo man nicht schief angeschaut wird, wenn man darüber berichtet wie es einem damit geht. Das war beim Thema Kinderwunsch auch schon so und ist bei den Themen Trauern und Verlust jetzt wieder so.

Es ist manchmal schwierig sich in Gruppen einzufügen, wenn man irgendwie „anders“ ist. Meine Familiengeschichte ist durch die Adoption ja schon anders. Dann kam die Kinderwunschthematik dazu, auch da laufen die Dinge bei uns anders als bei „normalen“ Paaren. Und ja, auch unsere Art zu trauern ist offenbar nicht „normal“, wenn ich den Äußerungen mancher Menschen glauben soll. Aber wir gehen unseren Weg und stehen dazu, auch öffentlich, im Blog, in den Medien und im Umgang mit anderen Menschen.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft? 

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass mein Mann und ich weiterhin als die geschlossene Einheit, die wir zur Zeit sind, funktionieren. Wir können über alles reden und beschreiten jeden noch so schweren Weg gemeinsam und ich hoffe, dass dies so bleibt.

Natürlich ist da weiterhin unser Kinderwunsch und neben unserem Sternenkind wünsche ich mir selbstverständlich immer noch ein lebendes Kind im Arm und an der Hand. Wir hoffen sehr, dass uns das Schicksal nicht noch mehr solcher Steine in den Weg wirft und es uns gelingt unseren Traum von der glücklichen Familie verwirklichen zu können. Dabei bleiben wir hoffentlich weiterhin so entspannt, offen und herzlich, wie bisher.

Es gibt noch ein paar andere Dinge in meinem Leben, zum Beispiel möchte ich mich in naher Zukunft beruflich verändern. Vielleicht ergibt sich ja doch noch der Wunsch oder die Gelegenheit meine leibliche Familie zu suchen und zu finden. Ich lasse alles auf mich zukommen.

Danke Dir für Deine Offenheit, liebe Martina und alles Gute für die Zukunft. 

Ihr habt auch eine außergewöhnliche Familiengeschichte? Oder eine Idee, welches Thema unbedingt mal in den Familienrollen vorkommen sollte? Dann schreibt mir eine Mail an fruehesvogerl@gmail.com. 

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