Nora Imlau mit Kind
Elternfragen

Babyschlaf: „Schon bei Neugeborenen gibt es Lerchen und Eulen! – Elternfragen-Interview mit Expertin Nora Imlau

Mit „Elternfragen“ möchte ich ab sofort einmal wöchentlich mit Experten reden, Mythen hinterfragen und Antworten auf Fragen finden, die sicher nicht nur mich beschäftigen. Fragen stellen finde ich nicht nur bei Kindern wichtig.

 

Heute geht es um das Thema Schlaf. Warum ist das Thema so brennend interessant, werden Babys schon mit einem Biorhythmus geboren und was kann man tun, damit alle gut in den Schlaf finden: Antworten gibt Buchautorin und Journalistin Nora Imlau.

Du hast ein Buch mit dem Titel Schlaf gut, Baby!: Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten (GU Einzeltitel Partnerschaft & Familie – Amazon-Partnerlink) geschrieben. Das Thema Schlafen erhitzt die Gemüter und ist bei jungen Eltern sehr zentral: Warum ist das so ein Aufreger-Thema?

Dass für Eltern der Schlaf ihrer Kinder – und ihr eigener Schlaf! – ein großes Thema ist, ist nicht verwunderlich: Schlaf ist schließlich ein Grundbedürfnis, niemand kann ohne leben. Gleichzeitig erleben viele Mütter und Vätern in den ersten Wochen und Monaten mit ihrem Baby einen Schlafmangel, wie sie ihn bis dahin nicht kannten. Sie spüren: zu wenig Schlaf kann einen Menschen wirklich fertig machen. Klar, entsteht da schnell die Sorge: Was, wenn das jetzt immer so weitergeht? Dazu kommt die Sorge ums Baby: Weint es möglicherweise so viel, weil es zu wenig Schlaf bekommt? Wäre es ausgeglichener, wenn es länger am Stück schliefe? Ich finde es deshalb absolut normal und legitim, dass junge Eltern oft zunächst kaum ein dringenderes Anliegen haben als einen Weg zu finden, die unterschiedlichen Schlafbedürfnisse von ihnen selbst und ihren kleinen Kindern unter einen Hut zu kriegen.
Dass der Kinderschlaf nicht nur ein großes, sondern auch ein sehr emotionales und umstrittenes Thema unter jungen Eltern ist, hat jedoch noch einen anderen Grund: Der Schlaf unserer Kleinen wird in unserer Kultur oft auch als das erste große Erziehungsfeld angesehen, an dem sich sozusagen ablesen lässt, wer sein Kind im Griff hat und wer sich auf der Nase herumtanzen lässt.

 

Eltern, deren Baby sich abends problemlos hinlegen lässt, ernten dafür oft viel Lob: Das habt ihr aber prima hinbekommen! Vermeintlich schlechte Schläfer lassen ihre Eltern hingegen gefühlt oft als Versager dastehen.

 

In der Folge lügen Eltern bei kaum einem Thema so viel wie bei der Frage nach dem Kinderschlaf. „Schläft es schon durch?“ – „Ja, schon lange.“ Ende der Diskussion.
Das Problem an dieser Unehrlichkeit ist, dass dann natürlich im gesamten Umfeld gefühlt alle Babys besser schlafen als das eigene. Und das nährt wiederum die Selbstzweifel: Haben wir unser Baby doch schon verwöhnt? Sind wir zu nachgiebig, zu weich, zu inkonsequent mit ihm? Und vor allem: Wird sich jemals etwas ändern, wenn wir nicht langsam mal andere Saiten aufziehen?
Zum absoluten emotionalen Eklat kommt es dann, wenn übermüdete Eltern darüber diskutieren, welche Strategien im Umgang mit „schwierigen Schläfern“ moralisch okay sind.
Die einen Eltern sagen: egal wie heftig unser eigener Schlafmangel ist – unser Baby schreien zu lassen ist keine Option. Wir geben unserem Kind die Geborgenheit und Begleitung, die es braucht, auch wenn wir dabei weit über unsere eigenen Grenzen gehen müssen.
Die anderen Eltern sagen: Zufriedene Babys brauchen zufriedene Eltern, und dauerhafter Schlafmangel macht alle unglücklich. Dann lieber einmal konsequent sein und ein Schlaflernprogramm durchziehen – und danach haben alle nachts ihre Ruhe.
Beide Fraktionen haben ihre Argumente, ihre Artikel und Studien, ihre Experten, die ihr Weltbild bestätigen. Und fahren im Kampf um ihre Wahrheit schwere Geschütze auf.
„Ihr zerstört aus Egoismus das Urvertrauen Eurer Babys“ – „Ihr zieht durch eure Selbstaufgabe verweichlichte Tyrannen heran“.
Und plötzlich geht es nicht mehr nur um das Thema Schlaf, sondern um zwei gegensätzliche Entwürfe guter Elternschaft – und das birgt natürlich ein unglaubliches Verletzungspotential.

 

 

Familienbett, das Baby im Babybay oder das Baby bereits früh im eigenen Zimmer: Nicht jeder findet die gleiche Schlafsituation entspannend. Wie findet jede Familie ihr Ideal?

 

Prinzipiell gilt: Eltern sind verschieden, Kinder sind verschieden – deshalb kann es nicht eine richtige Schlaflösung für alle geben. Das können die meisten Mütter und Väter auch so unterschreiben – so lange sie nicht das Gefühl haben, jemand leidet unter dem Arrangement. Interessant wird’s, wenn Familienmitglieder unterschiedliche Bedürfnisse haben, etwa wenn das Baby offensichtlich am liebsten im Elternbett schlafen will, seine Eltern das aber aus irgendeinem Grund nicht wollen.

 

Wie sieht dann die Lösung aus? Setzen die Eltern ihr Bedürfnis zu 100 Prozent und das des Babys gar nicht um, suchen sie einen Mittelweg, oder stellen sie ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten des Babys hintenan? Diese Frage bietet natürlich auch wieder viel Zündstoff für hitzige Diskussionen unter jungen Eltern. Prinzipiell gilt: Es ist gut, wenn jede Familie ihren eigenen Weg findet – aber was für Eltern am angenehmsten ist, ist nicht unbedingt das Beste fürs Baby. So tragen viele Eltern mit großer Überzeugung vor, dass in ihrer Familie alle besser schliefen seit das Babybett im eigenen Zimmer stehe. Das mag auf den ersten Blick so sein, doch tatsächlich ist dieser tiefere, längere Schlaf im eigenen Zimmer für Babys gar nicht gesund, sondern ein Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod. Aus meiner Sicht findet jede Familie ihr Schlaf-Ideal, indem sie sich zunächst informiert was für sicheren Babyschlaf wichtig ist (im ersten Lebensjahr im Elternschlafzimmer schlafen, stillen, nicht rauchen, im Schlafsack auf den Rücken legen) und dann ein Arrangement finden, diese Bedingungen für sich so bequem wie möglich zu erfüllen.

Mein Sohn ist fast drei, meine Tochter ein halbes Jahr alt und schon jetzt stelle ich fest, dass beide hinsichtlich ihres Schlafverhaltens oft unterschiedlich sind. Wie ist das: Werden Kinder schon mit einem eigenen Biorhthymus geboren?

Absolut, ja. Das ist ja das Gemeine an der Unterstellung, guter Schlaf sei Erziehungssache. In Wirklichkeit kommen unsere Babys mit ihrem eigenen inneren Schlaf-Plan zur Welt. Wir Eltern haben also völlig unterschiedliche Ausgangsbedingungen in diesem verrückten Wettbewerb um das Super-Schlaf-Kind, der in vielen Krabbelgruppen ausgefochten wird.

 

Denn wie Babys schlafen, ist vor allem eine Frage ihres angeborenen Bio-Rhythmus (schon bei Neugeborenen gibt es Lerchen und Eulen!), ihres individuellen Schlafbedarfs (der schwankt enorm, manche Babys brauchen doppelt so viel Schlaf wie Gleichaltrige!) sowie ihrer angeborenen Selbstregulationsfähigkeit.

 

Etwa 40 Prozent aller Neugeborenen bringen die Fähigkeit mit, sich alleine zu beruhigen und (fast) ohne Unterstützung einzuschlafen. Weitere 40 Prozent brauchen deutlich mehr Unterstützung, und die restlichen 20 Prozent tun sich selbst mit viel liebevoller Begleitung mit dem Einschlafen einfach schwer und schreien sich oft in den Schlaf, selbst wenn sie in Mamas oder Papas Armen liegen. Deshalb meine Bitte an alle Mütter und Väter gut schlafender Babys: Freut euch und seid dankbar, dass euer Baby so toll schläft, aber gebt bitte nicht eure besten Schlaf-Tipps übermüdete Mit-Eltern weiter. Denn nein, euer Kleines schläft nicht so problemlos ein, weil ihr es von Anfang an liebevoll, aber konsequent mit seiner Spieluhr an den Stubenwagen gewöhnt habt. Ihr habt einfach nur Glück gehabt.

 

Das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ist zu Recht umstritten und auch sonst halte ich von Schlaflernprogrammen nichts. Ich denke Du auch nicht. Kannst Du noch mal explizit sagen, warum man davon die Hände lassen soll?

Um es ganz klar zu sagen: Anders als man oft im Internet liest gibt es keine wissenschaftliche Studie, die beweisen würde, dass Schlaflernprogramme Kindern schaden. Wie sollte die auch aussehen? Man lässt 500 Babys schreien und 500 nicht und guckt dann, wer dreißig Jahre später Psychotherapie benötigt? Nein. Was es gibt, sind so genannte Fragebogen-Erhebungen, bei denen Eltern im Nachhinein aus der Erinnerung angeben, wie sie ihrem Baby das schlafen beigebracht haben, und dann wird geguckt, ob das betreffende Kind in der Schule irgendwelche Probleme macht. Angesichts dieser ungenauen Methodik ist es kein Wunder, dass die einzigen Studien zum Effekt von Schlaflernprogramme bisher ergeben haben, dass sich keine Unterschiede zwischen schlaftrainierten und nicht schlaftrainierten Kindern feststellen lassen.

 

Das heißt jedoch nicht, dass das so genannte „Ferbern“ harmlos wäre. Denn ich bin überzeugt: Es macht etwas mit Kindern, wenn sie in ihrer Verzweiflung und Angst ignoriert werden. Selbst wenn sie die Resilienz aufbringen, von dieser Erfahrung nicht nachhaltig und nachweisbar krank zu werden – in dem Moment, in dem sie allein in ihrem Bettchen liegen und die Erfahrung machen, in größter Seelennot wieder und wieder verlassen zu werden, geht es ihnen schlecht. Richtig schlecht. Und allein das müsste als Grund doch eigentlich schon reichen, um von Schlaflernprogrammen die Finger zu lassen.
Zur Sicherheit trotzdem noch ein paar weitere Gegenargumente:
– Schlaflernprogramme erklären normales kindliches Schlafverhalten zur Störung und damit das Kind zum Problem – dabei sind es wir Eltern, die mit den Schlafbedürfnissen unserer Kinder oft so unsere Probleme haben.
– Schlaflernprogramme suggerieren, das geferberte Baby mache während des Trainings eine Lernerfahrung und verstehe, wie richtiges Einschlafen geht. Das ist Quatsch. Das Baby lernt nichts, es resigniert einfach irgendwann.
– Beim kontrollierten Schreienlassen wird der Körper des Babys von riesigen Mengen des Stresshormons Cortisol geflutet, und zwar in einer Weise, die nach Ansicht führender Hirnforscher wie etwa Dr. Margot Sunderland die empfindlichen Hirnstrukturen kleiner Kinder empfindlich schädigen kann.
– Babys haben noch kein Zeitgefühl. Das heißt: dass alle paar Minuten jemand nach ihnen guckt, lindert ihre Verzweiflung und ihre Angst kein bisschen. Sie schreien beim Ferbern also eine gefühlte Ewigkeit, und machen zwischendurch immer wieder die Erfahrung, mit all ihrem Schmerz und all ihrem Flehen Mama oder Papa nicht zum Bleiben bewegen zu können.
Das wichtigste und stärkste Argumentation ist für mich jedoch der moralische Imperativ:

 

Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Stellen wir uns alle mal kurz vor, wir sind 97 Jahre alt und Pflegefälle, körperlich und geistig auf dem Stand eines Babys, und auf permanente Hilfe und Rückversicherung angewiesen. Und wir liegen im Bett, und es geht uns schlecht. Und wir rufen um Hilfe. Und keiner kommt. Und wir schreien lauter, und werden immer verzweifelter, und jemand kommt, und winkt kurz, und lässt uns wieder allein, ohne uns zu helfen. Und wir schreien und schreien, und keiner kommt, bis wir irgendwann erschöpft und resginiert aufgeben. Für mich ist das eine ganz gruselige Vorstellung, ja, eine regelrechte Menschenrechtsverletzung.

 

Und deshalb schließe ich mich den Worten des spanischen Kinderarztes Dr. Carlos Gonzales an, der die Frage, warum er Schlaflernprogramme ablehne, einmal kurz und knapp so beantworte: „Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht.“
Du hast drei Kinder und bist Expertin für Elternfragen nun kommt die Frage aller Fragen: Was kann eine Familie tun, damit alle entspannt nachts Kraft tanken, also gut schlafen??

Müden und verzweifelten Eltern von Schlaflernprogrammen abzuraten und ihnen dann keine anderen Möglichkeiten aufzuzeigen, besser zu schlafen, hilft niemandem weiter – das war der Ausgangspunkt für das Buch „Schlaf gut, Baby!“, das ich gemeinsam mit dem Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster geschrieben habe. Denn wir beide finden Schlaflernprogramme zwar furchtbar, sehen aber auch den echten Leidensdruck, unter dem viele übermüdete Eltern stehen.

 

Die in bedürfnisorientierten Kreisen so beliebten Durchhalteparolen („Irgendwann schlafen sie alle“) werden aus unserer Sicht diesem Problem nicht gerecht. Denn Schlafmangel kann wirklich etwas Schreckliches sein, und es ist gut und richtig, wenn Eltern dann den Impuls haben, etwas zu verändern. Nur plädieren wir eben dafür, diese Veränderungen nicht durch einen vorübergehenden Beziehungsabbruch wie beim Ferbern zu erreichen, sondern mit unseren Kindern in Beziehung zu bleiben während wir unsere Schlafsituation verbessern. Wir halten in unserem Buch keine allgemeingültigen Patentrezepte bereit, aber jede Menge Ideen, wie Familien zu mehr Schlaf und besseren Nächten für alle finden können.

 

Prinzipiell gilt: Je weniger wir gegen das angeborene Bedürfnis unserer Kinder nach Nähe ankämpfen, desto entspannter werden unsere Nächte. Es spricht also nichts dagegen, Babys in den Schlaf zu stillen, zu tragen und zu kuscheln und mit ihnen in einem Bett zu schlafen – im Gegenteil: alles, was Babys hilft, gut zu schlafen, kommt auch der Schlafqualität von uns Eltern zugute. Verwöhnen ist so unmöglich! Sind die Nächte mit Baby im Bett irgendwann einfach nur noch anstrengend, ist unser vielleicht wichtigster Tipp, Zumutungen gerecht zu verteilen.

 

Das heißt: wenn eine Mutter an den Punkt kommt, ihr älteres Baby nachts nicht mehr stillen zu wollen, ist es vollkommen legitim, eine nächtliche mehrstündige Stillpause einzuführen. Es ist auch völlig okay, wenn das Kind seine Wut oder seine Traurigkeit darüber ausdrückt, indem es weint oder schreit. Entscheidend ist allein, dass die Eltern ihr Kind mit diesem Schmerz nicht alleine lassen, sondern es liebevoll da durch begleiten. Dann merkt das Kleine: Mama und Papa achten gut auf sich und gleichzeitig gut auf mich. Und das ist der wahre Schlüssel zu guten Tagen und entspannten Nächten.

 

Liebe Nora, vielen lieben Dank für Deine ausführlichen Antworten. Mehr Informationen über Nora findet Ihr hier.

Bild 1: Christoph Luttenberger

Bild 2: Malina Ebert

 

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