Inkes Eltern hatten sich getrennt: Warum ihr Vater dann nur noch eine sehr kleine Rolle in ihrem Leben hatte und wie sich dass auf ihre Kindheit als bindungsorientierte Familiebegleiterin ausgewirkt hat, das erzählt sie in den Familienrollen.
Du trittst als Familienbegleiterin und auch als Bloggerin für bindungsorientierte Elternschaft ein. Auf Twitter hast Du mir verraten, dass Dein eigener Vater in Deiner Kindheit/Jugend kaum eine Rolle gespielt hat, wie kam es dazu?
Meine Eltern haben sich kurz vor meinem 10. Geburtstag getrennt. Es ging ihnen als Paar schon lange nicht gut, weil sie nicht mehr in die gleiche Richtung schauen und Lösungen für entstandene Probleme finden konnten, denke ich.
Wir Kinder (ich habe noch eine 5 Jahre ältere Schwester) haben davon lange nichts mitbekommen. Es gab gemeinsamen Alltag, Urlaube, schöne Momente.
Nach der Trennung zogen wir mit meiner Mutter erst nur in einen anderen Stadtteil unserer Heimatstadt Flensburg. Meinen Vater sah ich jeweils am Wochenende. Wir hatten ein Kinderzimmer bei ihm, in dem aber seine Sachen waren. Außer einigen Gesellschaftsspielen gab es nichts von mir.
Wir verbrachten Zeit miteinander, aber keinen Alltag. Meine Freunde waren nicht dort, Schule fand nicht statt, das Leben bei meiner Mutter war kein Thema. Versuchte ich doch, davon zu erzählen, verfiel er in eine Abwehrhaltung, also ließ ich es mit der Zeit.
Zwei Jahre später zogen wir nach Bonn, 600 km weit weg.Dazu kam es, weil meine Mutter sich ja beruflich neu orientieren musste nach der Trennung und auch einen neuen Partner gefunden hatte.
Von da an beschränkte sich der Kontakt zu meinem Vater auf kurze, wortkarge Telefonate und Besuche in allen Ferien, stets von meiner Mutter initiiert und bezahlt. Meinem Wunsch nach einer Brieffreundschaft für mehr Nähe zwischen uns mochte er nicht nachkommen; ich schrieb ein paar mal ausführlichst, aber bekam nie einen Antwortbrief.
So wurden wir uns immer fremder, gerade auch als ich in die Pubertät kam. Er fragte nicht, verstand mich nicht, wir schwiegen immer mehr oder führten hölzerne Dialoge. Oft verstellte ich mich einfach und war wieder ganz das kleine Kind, wenn wir uns sahen, damit es irgendwie gelingen konnte.
Wie hat sich das stellenweise Abtauchen Deines Vaters auf Eure Familie ausgewirkt?
Die Beziehung zu meiner Mutter und meiner Schwester war gut. Alles spielte sich ein im neuen Leben. Da meine Schwester beim Umzug schon 15 war, hatte sie in Flensburg mehr zurückgelassen: Freund, Clique, Heimat. Deshalb und auch weil sie meinem Vater meines Erachtens mehr ähnelte als ich, ihn vielleicht auch besser lesen konnte, war sie öfter in Flensburg und auch mehr im Gespräch mit ihm.
Meine Mutter hat immer versucht, die Lage zu entspannen, hätte z.B. auch gerne gemeinsame Weihnachtsfeiern o.ä. gut gefunden, aber mein Vater blockte alles ab. Vor lauter Kränkung, denke ich, weil sie am Ende entschieden hatte zu gehen. So waren viele Momente heftig, anstrengend, bedrückend für mich, wie ein Wandern zwischen zwei Welten. Aber in Bonn war ich gut gebettet.
Du hast erzählt, dass Dein Vater keine große Rolle mehr in Deinem Alltag gespielt hat: Wie ging es Dir dann bei den wenigen Kontaktversuchen?
Wie oben schon angerissen ging es mir nicht gut mit der Situation. Besuche waren anstrengend, weil ich mich verstellte. Nach jedem Abschied fiel ich in mich zusammen. Telefonate von Bonn aus erinnerten mich stets wieder an das ganze Dilemma, wo ich das alles doch sonst im Bonner Alltag eher ausblenden konnte. Zu spät geschickte Geburtstagskarten vermittelten mir, dass ich nicht mehr richtig präsent war.
Ich war froh, dass er irgendwie da war, sich Ausflüge oder Urlaube überlegte, wir manchmal lustige Kniffelabende hatten, wenn ich vor Ort war – aber mir fehlte ehrliches Interesse, offenes Fragen und Zuhören, Teilen, das Gefühl, dass er mich unabhängig von meiner Mutter sehen kann und mich so behandelt, wie ein geliebtes Kind.
Wir sind über Deinen Vater ins Gespräch gekommen, weil Du auf Twitter davon erzählt hast, dass Du Schlümpfe mit ihm in Verbindung bringst und Du einen Schlumpf zu seinem Grab brachtest. Dein Vater lebt nicht mehr. Hatte sich Euer Verhältnis die letzten Jahre gebessert?
Nein, leider gar nicht, auch nicht durch meine eigenen Kinder. Alles war so richtig implodiert, nachdem mein Vater weder zu meiner Abitur- oder Examensfeier, noch zu unserer Hochzeit kommen wollte. Er erklärte mir hierzu in einem an sich guten Telefonat, dass er es einfach nicht könne – wegen meiner Mutter. Ich spürte seine Verletztheit und wie er sich selbst im Weg stand und innerlich kämpfte. Aber ich war 26, die Trennung dementsprechend 16 Jahre her – ich wollte endlich, dass er mich sieht, nicht die kaputte Partnerschaft.
Es folgten noch ein paar unschöne Szenen persönlich und telefonisch, und ich fand für mich (mit guter Hilfe) heraus, dass ich mich hier befreien musste, mich für sein Glück verantwortlich zu fühlen. Jeder Kontakt riss mich wieder runter in echt fiese, dunkle Löcher. Das fing so nicht weiter.
Ich beschränkte meinen Kontakt auf ein Minimum. Herzlich von meiner Seite aus, aber ohne zu viel Kraftaufwand. Kraft war nicht mehr übrig.
Als seine Krebserkrankung bei einem seiner Besuche bei der Familie meiner Schwester in Bonn diagnostiziert wurde, half ich so wie ich konnte mit Besuchen in der Klinik, Einkäufen oder Wäsche waschen. Meine Schwester und ihr Mann machten tausendmal mehr und gaben sich echt fast auf. Davor ziehe ich meinen Hut und bin sehr dankbar, dass sie das leisten konnten. Mir war das nicht mehr möglich.
Die Tatsache, dass ich selbst Kinder bekommen habe, deren Opa er war, hat unser Verhältnis nicht sehr beeinflusst. Da er nicht zur Hochzeit gekommen war und ich danach den Minimumweg gewählt hatte, waren Taufen, Geburtstage, Einschulungen usw. auch nichts mehr, wozu ich ihn einladen mochte. Ich klammerte ihn thematisch nicht aus, erzählte den Kindern so neutral wie möglich von meinem Papa, zeigte Fotos, traf ihn auch manchmal mit den Kindern auf einem Spielplatz, wenn er in Bonn war. Aber ich stellte ihnen frei, ob sie mehr Kontakt wollten.
Sie wollten es selten: mal gab es ein Telefonat, mal haben sie ihm ein Bild gemalt und geschickt, und ich legte aktuelle Fotos dazu.
Aber er hatte seinen Platz in meinem Leben einfach schon lange aufgegeben. Es war keine Lücke mehr übrig, die er hätte füllen können – er wurde also kaum vermisst. Es sei denn, ich ließ diese Gedanken doch mal wieder zu. Dann tat es weh. Doch insgesamt hatte ich ganz gut meinen Frieden damit gemacht.
Du arbeitest als Familienbegleiterin: Glaubst Du, dass Deine eigene Familiengeschichte einen Einfluss auf Deine Arbeit hat?
Diese Frage wurde mir im SWR Nachtcafé so ähnlich zum ersten Mal gestellt, als ich dort als Trennungskind interviewt wurde. Sie kam unvorbereitet. Über den Einfluss all des Erlebten auf mein jetziges Tun und Sein hatte ich tatsächlich vorher nicht nachgedacht – und kann es wohl auch noch immer nicht wirklich beantworten.
Dass ich bindungs- und beziehungsorientiert arbeite und auch immer versuche, die Eltern und ihre Partnerschaften mit im Blick zu haben, hat vielleicht damit zu tun – vielleicht aber auch mit meinen eigenen Erfahrungen als Ehefrau in den Jahren mit drei Kleinkindern, in denen wir Eltern uns neu einrichten mussten.
Alleinerziehenden und all ihre Herausforderungen im Alltag begegne ich meines Erachtens genauso empathisch und möglichst umsichtig und vielschichtig blickend wie anderen Eltern auch und nicht speziell sensibler durch meine Mutter. Aber ich glaube, in Scheidungskinder kann ich mich besonders gut einfühlen.
Deine Mutter war streckenweise alleinerziehend: Hast Du das Gefühl, dass sich das auf Deine Erwartungen an Deinen Partner auswirkt?
Dass meine Mutter als Alleinerziehende etwas Besonderes war oder heftige Herausforderungen meistern musste, war mir lange nicht bewusst. Sie hat es unheimlich gut hinbekommen, alle Sorgen von uns fernzuhalten und uns doch irgendwie alles zu ermöglichen, was andere Kinder auch hatten. Sie ist beruflich nach der Trennung gut durchgestartet, was für sie persönlich sicher kraftgebend war und natürlich auch finanziell für uns.
Zeitlich war es manchmal natürlich etwas eng, und manchmal habe ich mir sicher weniger Selbständigseinmüssen gewünscht als Teenie. Vielleicht ist es mir deshalb heute wichtig, dass wir fünf hier zu Hause ein echtes Team sind. Ich wünsche mir, dass jeder die Möglichkeit hat, zu verstehen, was im anderen vorgeht, dass Probleme möglichst lösungsorientiert angegangen werden, dass Zeit für alle und alles ist. Auch mein Mann weiß genauso wie ich, was bei jedem so los ist, und das muss ich nicht initiieren, denn das will er von selbst.
Für die Partnerschaft und die Familie habe ich aus der Kindheit eher mitgenommen, dass ich anfangs sämtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen bin. Ich musste erst lernen, das zu schätzen und zu nutzen, anstatt wegzulaufen. Viel davon habe ich meinem Mann zu verdanken, weil wir gemeinsam diesen Weg gefunden haben.
Ich bin also eher ohne Erwartungen in diese Familiennummer gestartet und habe dann viel Gutes mitentwickelt, aber eben nicht unbedingt wegen des Weges meiner Eltern oder der Angst vor einem ähnlichen Geschehen. Im Nachhinein mag es vielleicht so aussehen, aber ich denke, wir gehen einfach einen eigenen Weg und haben Glück, dass wir ein gutes Team bilden können.
Was wünscht Du Dir für Deine eigenen Kinder?
Für meine Kinder wünsche ich mir die beständige Nähe und Sicherheit, die ich bei meiner Mutter trotz allem immer hatte und jetzt noch habe, die mir auch ihr neuer Mann mit gibt, der für die Kinder der Manni-Opa ist. Diese Nähe und Sicherheit hat auch mein Mann bei seinen Eltern, eigentlich sogar wir beide, und das sollte auch in der nächsten Generation bleiben.
Ich hoffe, dass die Kinder mitnehmen, wie wichtig Gespräche sind, Rücksichtnahme, Zuverlässigkeit, Kompromissefinden. Wie wichtig auch Freiwilligkeit ist, dass Eigensinn seinen Platz hat, dass ein Familiensystem stetig neu justiert werden muss. Dass das Arbeit ist, aber auch Kraft gibt.
Ich wünsche mir, dass sie, wenn sie später als Erwachsene wieder auf mich treffen, gerne gekommen sind und vor allem ein Gefühl haben: nach Hause zu kommen. Egal woher.
Vielen lieben Dank für Deine Offenheit, Inke.
Mehr über Inkes Arbeit erfährt Ihr hier.
Die Familienrollen gehen jetzt in die Weihnachtspause: Ich bin aber immer auf der Suche nach neuen Interviewpartnern, falls Ihr also eine Idee habt, worüber Ihr gerne mal lesen würdet oder selbst Gesprächsbedarf habt, schreibt mir.