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Netflix-Kritik: Der banale Zauber des Ausmistens: Aufräumen mit Marie Kondo

Über meine Erfahrungen mit dem Buch von Marie Kondo im Kleiderschrank und im Kinderzimmer habe ich bereits geschrieben: die Netflix-Serie habe ich allerdings nie geschaut. Worum es dabei genau geht und ob sich das Anschauen lohnt, verrät meine Freundin Dobrila (bloggt auf culturshock.de) in diesem Gastbeitrag.

Zum ersten Mal trat Marie Kondo vor zwei Jahren in mein Leben. Es war Frühling 2017, ich hatte mir schon lange vorgenommen, mein Wohn-/Schlaf-/Arbeitszimmer (auch liebevoll ‚Salon‘ genannt) umzuräumen, nur stand einfach zu viel Zeug im Weg, als dass ich überhaupt hätte Möbel verrücken können. Da fiel mir das Buch ein, über dessen überzogenen englischen Titel (The Life-Changing Magic of Tidying Up) ich neulich noch höhnisch gelacht hatte und nach dem ich nun verzweifelt googelte. Ich lud es als Hörbuch runter und ließ es an diesem Ich-muss-mein-Leben-in-den-Griff-kriegen-Wochenende einfach durchlaufen, während ich anfing, Abschied von unzähligen unnützen Dingen zu nehmen und schließlich wirklich Möbel zu verrücken. Die einlullende Stimme von Marie Kondos Übersetzerin half mir dabei, nicht das Handtuch zu werfen, als ich mich zwischenzeitlich im Chaos aus verrückten Möbeln, unbrauchbarem Nippes und einem auf dem Bett explodierten Kleiderschrank wiederfand und bedauerte, dass ich aus dieser aktionistischen Nummer nicht wieder rauskommen würde – schließlich brauchte ich nachts einem Platz zum Schlafen.

Neue Raumaufteilung Dank Marie Kondo

Am Ende hatte ich tatsächlich einen ansehnlichen ‚Salon‘ mit neuer Raumaufteilung. Vor kurzem habe ich mich darüber gewundert, wie ich das damals eigentlich geschafft habe. Inzwischen hat sich auch wieder viel Kram angesammelt. Und da hüpft sie plötzlich herum – elfengleich, im gestärkten Rock und mit so sanftmütiger Freude, dass man ihr nicht übelnehmen kann, wie viel Arbeit sie einem aufhalsen wird: Marie Kondo, in ihrer Netflix-Show „Aufräumen mit Marie Kondo“.

Elfenhafter Auftritt: Marie Kondo und ihre Dolmetscherin | © Netflix

Eine Makeover-Show

Das Konzept dieser Serie ist eigentlich schon veraltet, wurde jüngst aber vom Remake der Show „Queer Eye“ (ebenfalls Netflix) wiederbelebt, in der Männer, die sich nach Ansicht einer schwulen Style-Armada haben mächtig gehenlassen, generalüberholt werden – in den Bereichen Frisur/Bartpflege, Garderobe, Wohnstil und Ernährungsweise. Am Ende soll der Zuschauer verblüfft und emotional ordentlich durchgeschüttelt das prächtige Ergebnis in der Vorher-Nachher-Gegenüberstellung betrachten. Und in fast allen Fällen muss man schon sagen: Makeover gelungen (vor allem im Wohnbereich, Bobby leistet Wunder)!

Eine solche Makeover-Show ist „Aufräumen mit Marie Kondo“ auch, wenn auch deutlich gedämpfter. In den acht Episoden sucht die 34-jährige Kondo zusammen mit einer Dolmetscherin je eine Familie in ihrem Haus in Los Angeles auf (oder heim, wie man’s nimmt). Diese Familien sind allesamt gut gecastet: Es sind sympathische, gutaussehende Menschen. Zudem sind vom jungen Paar, über die erst kürzlich nach L.A. gezogene und beengter hausende Familie bis zu rüstigen Rentner-Eheleuten recht unterschiedliche Lebenssituationen vertreten – und eine lobenswerte Vielfalt, was ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung und Alter unter den Teilnehmenden betrifft.

Streben nach dem höheren Ordnungsgrad

Nur eins sind all diese Menschen nach meinem Ermessen nicht: unordentlich oder unfähig Ordnung zu halten. Wir haben es hier nicht mit Messies zu tun, denen wohl kaum zu helfen wäre mit einem „Nimm jeden deiner bis an die Hausdecke reichenden Gegenstände in die Hand und frag Dich, ob er Glücksgefühle auslöst“.

Oh, ein Foto – das gehört in eine Box oder in ein Album. Mhm. | © Netflix

Es sind vielmehr Leute, die einen Ordnungsgrad erreichen wollen, der ihrem bisherigen Lebensstil einfach nicht entspricht – weil sie vieles kaufen, was sie nicht (ge)brauchen, diese überzähligen Dinge nicht entsorgen und den Überblick verlieren. Dies völlig wertfrei: Ich erkenne mich, wie fast jeder Mensch mit gewisser Kaufkraft in einem westlichen Industrieland, darin wieder.

Und da kommt Marie Kondo ins Spiel und in diese Show hineingeschwebt: Nachdem sie die Familie (und völlig unnötigerweise auch das Haus, *augenroll*) ausschweifend begrüßt hat, haben die nach Ordnung Strebenden vier bis sechs Wochen Zeit, ihr Heim mithilfe der KonMari-Methode auszumisten. In der ersten Episode wird einem die gesamte Methode erklärt, deren Einzigartigkeit darin besteht, dass man die Reorganisation nicht von Raum zu Raum angeht, sondern nach Kategorien: Kleidung, Bücher, Unterlagen, Gemischtwaren, Dinge mit sentimentalem Wert.

Die Banalität des Ausmistens

Und dann betrachtet man die einzelnen Familienmitglieder dabei, wie sie Kleidung ausmisten. Und Bücher. Und Unterlagen… Ihr merkt, worauf es hinausläuft: Es ist nicht sonderlich unterhaltsam, Menschen beim Aufräumen zuzusehen – außer vielleicht, sie tun es in eurer Wohnung. Zwischendurch werden ihnen weiterhin sympathische Besuche von Marie Kondo abgestattet, die unaufdringliche Tipps gibt, zum Beispiel Weihnachtsschmuck nicht in Müllsäcken, sondern in transparenten Plastikboxen aufzubewahren. Und geliebte Fotos kann man, falls ihr das noch nicht wusstet, in eine schöne Schachtel packen oder in ein Album kleben (kein Scherz, wirklich einer der hilfreichen ‚Tipps‘ in der Show).

Wahrscheinlich haben die Macher dieser Show selbst gemerkt, dass das Ausmisten an sich, trotz weltweit gepriesener und für Kondo äußerst lukrativer KonMari-Methode, eine banale Angelegenheit ist. Man geht Gegenstände durch, entscheidet, was man nicht braucht und wirft es weg (oder spendet es, was hier eher einen geringen Teil des Aussortierten betrifft). Daher wird das ganze auch mit einer nicht ganz subtilen Dramaturgie aufgeladen, wo es möglich ist: So entdecken Rachel und Kevin Friend aus der ersten Episode beim Ausmisten ihre Hochzeitsfotos und ihre Liebe zueinander wieder, wo sie sich vorher immer übers Wäschewaschen gestritten haben. Und am Ende der dritten Episode stellt Senitha fest, dass sie mit ihrem Mann Aaron kooperieren kann – gute Voraussetzungen für das dritte Kind, das sie gern hätten, aber mit dem sie wegen der Unordnung noch gezaudert hatten. Es scheint, dass wo auch immer Unordnung (nach Kondo-Maßstab) herrscht, auch der Haussegen etwas schiefhängt. Das dieser am Ende wieder wundersam wiederhergestellt ist, soll über die nicht ganz so beeindruckenden Vorher-Nachher-Gegenüberstellungen hinwegtrösten.

Nichts gegen Zauber

Dabei schließe ich beim Betrachten dieser über Ordnung schwärmenden Menschen am Ende jeder Episode nicht einmal aus, dass ein aufgeräumtes Heim für Erleichterung und ein gewisses Glücksgefühl sorgen kann, dass es manchen sogar wieder Luft zum Atmen geben und Raum fürs Kreative eröffnen kann. Nur irgendwie transportiert sich das Ganze nicht so recht beim Anschauen von „Aufräumen mit Marie Kondo“ – ebenso wenig der Zauber, von dem Marie Kondo in ihrem Buch sprach. Dafür scheint mir in dieser Show zu oft durch, dass gründliches Aufräumen zwar anstrengend aber prinzipiell recht simpel ist. Es gehört zum Einmaleins der Lebensführung, zu dem wir aber anscheinend einen neuen Zugang brauchen. Vielleicht finden ihn einige durch „Aufräumen mit Marie Kondo“. Ich halte mich an die Kombination aus befürchtetem Kontrollverlust, blindem Aktionismus und Kondo-Hörbuch.

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