Anna Hofer
Kultur mit Kind

Stillen: Mythen und ihr Wahrheitsgehalt

Mit „Elternfragen“ möchte ich ab sofort einmal wöchentlich mit Experten reden, Mythen hinterfragen und Antworten auf Fragen finden, die sicher nicht nur mich beschäftigen. Fragen stellen finde ich nicht nur bei Kindern wichtig.

Heute geht es um das Thema Stillen. Anna Hofer ist Stillberaterin: ein paar Mythen, die mir zum Thema Stillen untergekommen sind, habe ich ihr vorgelegt und sie hat geantworten.

 

„Klappt das mit dem Stillen?“ Diese Frage wird jungen Müttern gerne gestellt. Mal abgesehen davon, dass das häufig recht indiskret ist: Kann, mit ausreichend Unterstützung, wirklich jeder stillen? 
Bis auf wenige Ausnahmen, ist jede Frau körperlich in der Lage zu stillen. Ob eine Frau stillen möchte, ist ihre ganz persönliche Entscheidung. Gründe, die gegen das (ausschliessliche) Stillen sprechen, können Vorerkrankungen der Mutter sein (z.B. eine Schilddrüsen-Unter- oder überfunktion, Brustkrebs, eine Brust-OP (bei einer Brustverkleinerung können auch Milchkanäle verletzt werden) etc. Wenn das Baby ein Frühchen ist, saugschwach,ggf. eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalten oder andere neurologische Beeinträchtigungen hat, kann der Stillstart eine besondere Herausforderung sein. Auch ein Kaiserschnitt oder die Trennung von Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt kann den Stillstart erschweren. Deshalb ist eine vertrauensvolle, zeitnahe Unterstützung auch so wichtig.
Von einer Hebamme habe ich mal gehört, dass permanentes Stillen dafür sorgt, dass die Verdauung des Babys nie Pause machen kann. In den 80ern stillten viele noch nach alle vier Stunden nach der Uhr, heute spricht man häufig vom Stillen nach Bedarf: Was meinst Du dazu? 
Muttermilch ist leicht und schnell verdaulich. So werden Magen und Darm von Beginn an nicht überlastet. Denn der Magen von neugeborenen Babys ist sehr klein und hat in etwa der Größe einer Kirsche oder Walnuss. Häufige Stillmahlzeiten sorgen nicht nur dafür, dass die Milchproduktion gut in Gang kommt (und bleibt!), sondern auch, dass der kleine Magen immer wieder mit Nahrung versorgt wird.

 

Außerdem können die Babys durch das Saugen an der mütterlichen Brust entspannen und ihr Geschäft verrichten. Die meisten Babys machen in die Windeln, während sie stillen.

Babys nach Bedarf zu stillen bedeutet aber auch, sie in dem Moment abzuholen, wenn sie uns brauchen. Wir sind Essen und Getränk in einem, Einschlafhilfe und sicherer Hafen bei Schmerzen und Unwohlsein. Stillen ist ein sehr dynamischer Vorgang. Es gibt Zeiten, in denen Babys gerne stündlich stillen möchten (Wachstumsschübe sind hier charakteristisch) und dann wieder Stillpausen von 2-3 Stunden einlegen. Unsere Babys zeigen uns, was sie brauchen und wir können darauf vertrauen und entsprechend auf ihre Bedürfnisse reagiere.
Auch eine beliebte Frage: „Reicht Deine Milch?“: Woran merkt man, dass die Menge und/oder der Nährstoffgehalt nicht (mehr) ausreicht und was kann man dann tun? 
LogoDie Menge der Milch ist immer abhängig von der Nachfrage. Je mehr Milch ein Baby aus der Brust trinkt, umso mehr Milch wird auch nachgebildet. Umgekehrt gilt: Trinkt das Baby weniger, geht auch die Milchmenge zurück. Wenn ein gesundes Baby so oft angelegt wird, wie es möchte, wird in der Regel ausreichend Milch vorhanden sein. Bald etabliert sich auch ein ganz individueller Rhythmus. Der kann zwischen 2-4 Stunden liegen, je nach Alter des Babys natürlich. Ein Baby trinkt immer nach seinem individuellen Bedarf.

 

Vielleicht ist es an manchen Tagen unruhiger, verlangt ganz oft nach der Brust und scheint mehr Milch zu brauchen. Durch dieses häufige Trinken regt es die Milchbildung an und nach einigen Tagen intensiveren Stillens (Clusterfeeding) wird sich die Milchmenge wieder angepasst haben.

 

In diesen Situationen wenden sich die Mütter häufig an mich und meine Kolleginnen, da sie genau in dieser Zeit Sorge haben, ihr Baby nicht mehr ausreichend versorgen zu können.

 

Muttermilch ist zu jeder Zeit wertvoll und reich an Nährstoffen. Eine gesunde Ernährung als Mutter ist immer wünschenswert, aber nicht in diesem Maße, wie es oft propagiert wird. Viel wichtiger ist das tatsächliche Stillen nach Bedarf.

Du bist Mutter eines kleines Sohnes und arbeitest seit geraumer Zeit als Stillberaterin: Was hat Dich am Stillen so fasziniert, dass Du diesen Weg gegangen bist?

 

Anna Hofer

Im Sommer 2012 wurde mein Sohn geboren. Wir hatten einen gelungenen Stillstart, was nicht heisst, dass nicht auch mit den Klassikern der Stillfragen zu kämpfen hatte: Übervolle Brüste, mein Baby, das in meiner Milch ertrankt, Clusterfeeding (engmaschiges, oft stündliches Stillen),ein unerwarteter Stillstreik, ein schmerzhafter Milchstau, der mich völlig überrumpelt hat.

 

Es gab viele Momente, in denen man mich hätte verunsichern können, hätte ich nicht die Unterstützung bekommen, die ich brauchte. Ich hatte eine wunderbare Hebamme, ein Krankenhaus mit einer eigenen Stillambulanz, an die mich nicht nur einmal gewandt habe. Vor allem aber, habe ich auch einen Partner, der meinen Wunsch zu stillen stets voll und ganz unterstützt hat.

 

Durch Liebe und Zuspruch umschifft man manche schwere Klippe.

 

Zu dieser Zeit absolvierte ich mein Fernstudium in Angewandter Psychlogie und es erschien mir eine perfekte Ergänzung, mich als Stillberaterin ausbilden zu lassen. Damit ich eben die Unterstützung biete, die ich selbst als frischgebackene Mutter gebraucht habe. Und so arbeite ich nun schon seit drei Jahren als freiberufliche Psychologische Beraterin und Stillberaterin.
Welchen Rat hast Du für Schwangere und junge Mütter für eine harmonische Stillbeziehung? 
Ich möchte hier gerne mit einem Beispiel beginnen: Wenn wir uns in unserer ersten Fahrstunde hinter das Steuer eines Autos setzen, finden wir uns trotz all unserer anfänglichen Aufregung eigentlich schon ziemlich gut zurecht. Wir kennen die meisten Schalter, die Pedale und wissen, woaruf wir im Straßenverkehr achten müssen. Das liegt daran, dass wir bereits Jahre vor unserer eigenen Führerscheinprüfung die Möglichkeit hatten, Anderen beim Fahren zuzusehen und zu lernen. Wir haben aber auch unmittelbar neben uns unseren Fahrlehrer, den wir um Rat fragen können und der mit uns acht gibt. Da wir in unserer Gesellschaft äußerst selten die Gelegenheit bekommen, vor dem eignenen ersten Kind, andere stillende Mütter zu beoachten und / oder mit ihnen in Kontakt zu treten, ist dieses Thema für uns bis zum Zeitpunkt, an dem die Geburt abgeschlossen und das Kind an der Brust liegt, mitunter ein sehr abstraktes.

 

Wir haben kein Wissen, auf das wir zurückgreifen können und sind auf Hinweisen von Ärzten, Hebammen und auch Stillberaterinnen angewiesen. Gerne verweisen wir auf die Natürlichkeit des Stillens und die Intuition, aber diese speist sich immer ein stückweit auch aus Erfahrung, die beim ersten Kind einfach nicht gegeben ist. Daher ist meine Bitte und mein Wunsch: Fragt uns ein Loch in den Bauch. Sucht Euch einen guten Vorbereitungskurs in der Schwangerschaft, der sich auch mit dem Thema Stillen beschäftigt. Wenn das Personal im Krankenhaus ausgelastet ist, schickt Eure Männer los, damit jemand kommt und Euch beim Anlegen Eures Babys hilft. Wenn die Hebamme zu Euch zur Nachsorge kommt, schreibt Euch eure Fragen auf, damit ihr sie in Ruhe besprechen könnt. Fühlt Euch nicht falsch oder schuldig, wenn ihr Fragen habt. Ihr müsst nicht alles wissen und schon gar nicht alles können. Auf meiner Seite schreibe ich genau deshalb, dass Stillen ein Handwerk ist, das erlernt werden muss. Das ist keine Schande, sondern eine Notwenigkeit. Dafür sind wir da!

 

Vielen lieben Dank, Anna. 

 

Hier geht es zu Annas Stilberatungs-Homepage.

 

Bisherige Expterten-Interviews zum Nachlesen: Schlaf mit Nora Imlau, Trotzphasen mit Katja Seide und Reitpädagogik mit Miriam Neudeck.

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