Familienrollen, Kultur mit Kind, Nachgefragt, Unterwegs

Bloggen aus Kambodscha: „Da steht man inmitten von kleinen Kindern, die noch nie eine weiße Frau gesehen haben, mit einem schweineteuren Smartphone und filmt. Ich hab mich so schlecht gefühlt und geschämt, für das was ich habe.“

Leonie (Bloggerin auf dem hübschen Blog Minimenschlein.de) war als Botschafterin 10 Tage in einem Kinderdorf in Kambodscha: Was das bedeutet, was sie gelernt hat und welche Gedanken sie nun immer begleiten, das hat sie mir im Familienrollen-Interview verraten. 

 

Du warst als Botschafterin in einem Kinderdorf in Kambodscha: Mit welchen Gefühlen und Gedanken bist Du dort hingefahren? 

In erster Linie war ich anfangs einfach nur aufgeregt und hatte mich vor der Reise viel mit organisatorischen Fragen beschäftigt. Die Sache ist die: Ich war zuvor noch nie in Asien gewesen. Dann kam Anfangs letzten Jahres die Frage von AMIGO Spiele, ob ich mir eine Reise in ein Kinderdorf vorstellen könnte. AMIGO selbst engagiert sich seit Jahren für CFI Kinderhilfe, die als Partnerorganisation das Kinderdorf unterstützen. Doch kleine Hilfsorganisationen ohne Werbeetats haben natürlich weniger Aufmerksamkeit als die ganz Großen. AMIGO Spiele kam für meine Reisekosten auf, ich wiederum berichtete dann auf meinem Blog und in den Instagram Stories jeden Tag.

 

Es ist eben so ein Ding, wenn du noch nie in Asien warst: Anfangs beschäftigst du dich mit so banalen Dingen wie Wetter, welches Gepäck, wie viel Gepäck, welche Kleidungsstücke, Impfungen und so weiter. Auf meinem Flug nach Kambodscha, als alles organisatorische geregelt war, kamen dann die essentiellen Fragen: Wie werden die Kinder auf mich reagieren? Werden sie überhaupt reagieren? Besteht die Möglichkeit, auch eine Nähe aufzubauen? Ich hatte keine Ahnung, wie es werden würde. Und was ich dann erlebt habe, hat mir den Boden unter den Füßen weg gerissen.

 

Für ein paar Wochen vor Ort: Was war Deine Aufgabe in Kambodscha in Theorie und Praxis?

In erster Linie war meine Aufgabe, oder vielmehr mein Wunsch, nah und ehrlich zu berichten, wie es eigentlich so ist, in einem Kinderdorf. Natürlich habe ich auch Ecken von Kambodscha außerhalb des Kinderdorfes gesehen. Ich habe also innerhalb eines sehr armen Landes binnen weniger Stunden erlebt, wie es sich arm und wie es sich sehr arm lebt.

Was waren die prägendsten Erlebnisse in Deiner Zeit in Kambodscha?

Es gab sehr viele sehr prägenden Momente. Die große Armut des Landes, die hat mich ziemlich fertig gemacht. Zu sehen, wie kleine Kinder stundenlang am Straßenrand sitzen, im Dreck spielen. Dass viele Kinder in kleinen Dörfern so arm leben, dass sie stark mangelernährt sind. Dass sie niemals Zugang zu Bildung haben werden, weil ihre Eltern noch nicht mal einen Dollar am Tag zur Verfügung haben. Diese Kinder mit kaputten Zähnen und gesträhntem Haar – aufgrund ihres immensen Proteinmangels – , gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Das waren Momente, da wollte ich einfach nur meinen Tränen freien Lauf lassen.

 

Da steht man inmitten von kleinen Kindern, die noch nie eine weiße Frau gesehen haben, mit einem schweineteuren Smartphone und filmt. Ich hab mich so schlecht gefühlt und geschämt, für das was ich habe.

 

Abends saßen wir immer in der Gruppe zusammen, die Mädels von CFI Kinderhilfe, die andren Botschafter und Andi von AMIGO spielen. Unsere zentrale Frage in den Gesprächen war jeden Abend: Wie können wir alle zuhause so weitermachen, wie bisher nach dem, was wir hier gesehen haben?
Nach ein paar Tagen wurde mir bewusst: Erstens, ich muss diese Scham ablegen. Denn nur, wenn ich mit meinem Blog und meinen Videos bei Instagram in die Welt trage, was hier geschieht, kann ich auch etwas bewegen. Ich MUSS auf die Situation der Kinder in Kambodscha aufmerksam machen.

 

Nun, und dann gab es natürlich auch prägende Erlebnisse, die mich nachhaltig positiv bewegt haben. Und die spielten sich eben im Kinderdorf ab. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was mit Spenden möglich ist. 400 Kindern wird im Kinderdorf „Light Of Hope“ die Chance auf Bildung gegeben, mit Kindergärten und einer Vorschule. Diese Kinder haben einfach eine Chance auf Leben. Gesundes Essen, das auf dem Gelände direkt angebaut wird und sehr sehr liebevolle Lehrer und Pflege-Eltern. Fast alle Lehrer, die hier arbeiten, waren selbst als Kind in diesem Kinderdorf. Sie konnten in der Hauptstadt studieren und kehrten zurück, um ihr Erlerntes zurück zu geben. Sie sind sehr dankbar, weil sie wissen, dass ohne Spendengelder das alles nicht zu wuppen wäre und haben keinen größeren Wunsch, als das Glück, welches ihnen widerfahren ist, zurück zu geben. Mit diesen Leuten zu sprechen war sehr beeindruckend für mich. Zu sehen, wie sie mit den Kindern umgehen, sie an die Hand nehmen, sie trösten und mit ihnen beim Spiel lachen. Da wusste ich: Es ist wichtig, diese Seite auch zu zeigen. Zu zeigen – Leute, schaut her, was man mit kleinen Spenden großes Bewirken kann!

Denn alle Kinder, die im Kinderdorf leben, haben ihre Eltern verloren. Viele haben die eigenen Eltern sterben sehen, fast alle unter ihnen haben schwere Traumas.

 

Nun hast Du dort viele Menschen getroffen, bist dort auch noch krank geworden: Wie begegnete man Dir dort?

 

Ich hatte eine Infektion im linken Bein und bemerkte immer mal wieder, dass der linke Fuß immer dicker wurde. Zwei Tage vor unserer Abreise schwoll dann mein Bein samt Fuß so dermaßen an, dass wir zu einem lokalen Arzt fuhren. Der sprach wenig englisch und war sich recht unsicher in allem. Er gab mir ein Antibiotika auf das ich kurze Zeit später heftig reagierte. An diesem Tag lag ich in unserer Unterkunft während die anderen unserer Gruppe im Kinderdorf waren. Obwohl ich lag, hatte ich das Gefühl, jederzeit in Ohnmacht zu fallen. In unserer Unterkunft bat ich dann um einen Krankenwagen. DRINGEND! Die hochschwangere Kambodschanerin, die auch nur etwas englisch sprach, gab mir zu verstehen: Es gibt keine Krankenwagen. Nirgendwo. Die einzige Chance die wir hatten: Drei Stunden zurück in die Hauptstadt zu fahren. Das haben wir dann getan. Sherree, die Leiterin des Kinderdorfs, und Andi von AMIGO begleiteten mich.

 

Wir kamen erst am frühen Abend in der Hauptstadt an. Da fragte mich Sherree: Kannst du es dir leisten, das wir in eine private Klinik fahren oder sollen wir in ein städtisches Krankenhaus? Ich hatte mehrere Kreditkarten dabei, auch die meines Mannes, weil ich zuvor auf anderen Blogs gelesen hatte, dass man mindestens zwei verschiedene Karten dabei haben sollte. Und natürlich sagte ich: Es ist mir egal, was es kostet. Ich hatte riesengroße Angst, weil ich einfach auch ultrastarke Schmerzen hatte. Ich wollte einfach nur zurück zu meinen Kindern.

 

Mit meinem Hausarzt war ich parallel ein Kontakt. Das war schwierig, weil er sich ja in einer anderen Zeitzone befand. Ich schrieb ihm Tag und Nacht und gab ihm durch, was die Ärzte hier empfahlen. Dann segnete er ab oder verneinte. Nach diesem Tag im Krankenhaus bekam ich dann noch eine Ohreninfektion. Ein Tag, bevor wir zurück fliegen sollten. Die ganze Nacht über schrieb ich E-Mails mit dem Malteser-Hilfsdienst, auch, um mich abzusichern: Ein Langstreckenflug mit Infektion im Bein und dann auch noch eine Ohrenentzündung? Wie sollte das gehen?

 

Am nächsten Morgen fuhr ich wieder zurück in diese Privatklinik und man gab mir weitere starke Medikamente, die etwa zwei Stunden vor dem Rückflug gut anschlugen. Die anderen aus unserer Gruppe reisten alle nach Frankfurt zurück und flogen zusammen. Ich hatte eine spätere Maschine allein, und dann auch noch mit Umweg über Dubai. Etwa 18 Stunden war ich unterwegs, reine Flugzeit. Meine Freundin Jassi hatte sich alle meine Stories angesehen und ahnte, wie es mir geht. Sie ist Reisejournalistin und kennt sich gut aus. Sie befahl mir: Du gehst jetzt an den Schalter deiner Fluggesellschaft, zeigst deine Krankenakte und bestehst auf einen guten Platz im Flieger und darauf, dass du immer genug zu Trinken bekommst. Das tat ich und es klappte. Vor den 18 Stunden Flug besann ich mich. Ich wusste, ich musste nun ganz ruhig werden. Ich musste meine ganzen Ängste jetzt ablegen, sonst würde ich diesen Flug – emotional – nicht überstehen. Ich hatte einfach so viel gesehen in diesen Tagen, so viel Leid und auch mal Glück, irgendwie war alles zu viel.

 

Auf Deinem Blog hattest Du geschrieben, dass Dir ein Arzt im Nachgang erklärt habe, Du könntest so auch nicht die Welt retten. Wie waren die sonstigen Reaktionen auf Deine Zeit in Kambodscha? 

 

Leonie mit dem Schuldirektor.

Ja genau, meine Ohrenentzündung kam ein paar Wochen später zurück und wurde zur Gehörgangs- und Trommelfellentzündung. Ich saß an Weihnachten damit beim Notdienst und dieser Arzt fragte, seit wann ich die Beschwerden habe. Ich erzählte ihm, dass sie in Kambodscha anfingen und so kamen wir ins Gespräch. Auf meine Ausführung in Bezug auf Kambodscha sagte er: „Ihnen ist aber schon bewusst, dass Sie nicht die ganze Welt retten können, oder?“ Das hat mich sehr verletzt. Ich möchte nicht die ganze Welt retten. Ich kann es gar nicht. Das ist und war nicht mein Ziel. Aber ich kann, und das können wir alle, mit kleinen Mitteln und ein paar Spenden KINDERLEBEN retten!

 

Viele Leute sehen das nicht, sie sehen nur sich und ihr Leben. Ich kann es nicht verstehen, aber muss es respektieren. In meinem direkten Umfeld gingen die Meinungen natürlich auch auseinander. Von „muss das denn unbedingt sein mit Kambodscha“, bis hin zu „da fährst du aber nie wieder hin!“, war und ist alles dabei. Für mich ist und war es aber wichtig. Ich wollte diese Erfahrung! Ich wollte sehen, ob und wie Spendengelder am anderen Ende der Welt eingesetzt werden. Und ich wollte unbedingt auch die Reichweite meines Blog nutzen, um darauf aufmerksam zu machen.

In der Zeit meiner Reise bekam ich zwischen 200 und 400 private Nachrichten, allein bei Instagram. Fast alle habe ich an den Abenden oder mal zwischendurch beantwortet. Diese Rückmeldung von Followern und Lesern hat mir gezeigt, dass es auch für andere relevant ist, was ich tue.

 

Was hat sich in Deinem Alltag durch die Erfahrungen in Kambodscha nun geändert?

 

Das erste, was ich getan habe: Eine Patenschaft für ein Kind abgeschlossen. Es sind 37 Euro im Monat, mit denen ich einem Kind dort Schule, also Bildung, Kleidung und gesundes Essen ermöglichen kann. 37 Euro sind nicht für jede Familie möglich aber für viele. Die ersten Tage und Wochen war ich wahnsinnig durch den Wind. Ich habe Kambodscha sehr vermisst. Ich wollte plötzlich zurück und noch mehr tun und überhaupt. Ich glaube, in dieser Zeit hat sich mein Mann sehr um mich gesorgt. Diese Reise hat mich verändert, sie hat viel mit mir gemacht – in allen Bereichen. Sie hat mir aber auch und vor allem gelehrt, dass ich mich nicht schämen muss für das Leben, dass ich hier führe. Ich muss mich höchstens dann schämen, wenn’s mir saugut geht und ich mit meinem Wissen und dem, was ich dort gesehen habe, NICHTS für die tue, denen es schlechter geht. Ich spende, ich habe eine Patenschaft und darf nun als ehrenamtliche Botschafterin immer wieder schöne Dinge mit CFI Kinderhilfe umsetzen. Das bedeutet mir sehr, sehr viel.

 

Vielen lieben Dank für Deine Antworten, Leonie. 

 

Falls Ihr Euch für das Leben im Kinderdorf interessiert, ist bestimmt das Interview mit zwei Jugendlichen aus einem Berliner Kinderdorf für Euch lesenswert.

 

Falls Ihr noch mehr über Leonie erfahren wollt: In einem Familienrollen-Interview hat sie bereits über ihre Patchwork-Familie gesprochen.

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